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Amor telefoniert und schießt daneben

LANDESTHEATER / ICH RUFE MEINE BRÜDER

17/05/24 Natürlich hat Amor nichts zu tun mit der Autobombe. Aber als Immigrant sieht er so aus wie einer, der einen solchen Anschlag hätte machen können, und er spürt die Blicke der anderen. Zumindest glaubt er diese Blicke wahrzunehmen.

Von Erhard Petzel

Jonas Hassen Khemiris Roman Ich rufe meine Brüder von 2012 ist in seiner Struktur direkt als Theatervorlage geeignet und als solche auf den Bühnen der Welt zuhause. Jetzt, beeindruckend dramatisiert, in den Kammerspielen des Landestheaters. Man hält sich mit wenigen Eingriffen an den Text und wählte nahe eine liegende Besetzung. Das heißt gestraffte Zuordnung von Personen im Wechselspiel durch verschiedene inhaltliche und zeitliche Ebenen. Diese Brüche werden woanders durchaus auch anders dramatisiert, der Text damit stärker im psychischen Rahmen interpretiert. Die Salzburger Aufführung punktet aber in ihrer Texttreue durch saftige Dialoge und heftige Dramatik, die trotz ihrer eindeutigen personellen Zuordnung das Schwebende des Textes nicht verschütten. Ein Glanzabend für Younes Tissinte in der Hauptrolle als Amor. Wenn er mit seinem Freund Fabi in der Schlussszene telefoniert, zieht Aaron Röll alle Register, um die Angst um den Freund in beklemmende Wirklichkeit zu wandeln.

Denn Amor hat ein spezifisches Problem mit seiner Paranoia. Statt als Dialoge könnten ganze Passagen auch als innere Monologe gelesen werden. Das wird deutlich, wenn Amor mit seiner Oma im Jenseits spricht. Leyla Bischoff muss dafür keine alte Frau spielen, da Tyra das Alter nach Belieben wechselt und eben Jugend bevorzugt. Es wird in diesem Dialog klar, dass Amor Selbstgespräche führt, die Vision der imaginierten Begleiterin aber braucht, um seinen Nachhauseweg durch die Stadt zu bewältigen. Im Telefonat mit Freundin Valeria (Lisa Fertner) fühlt er sich observiert. Wenn er sich in eine Terror-Fantasie versteigt in der Erwartung eines rassistischen Polizeiakts, der sich als simple und harmlose Wegbeschreibung erweist, ist seine überspannte Selbstinszenierung eindeutig. Da eine nicht näher ausgearbeitete Autoexplosion der große Aufreger auf der aktuellen Ebene der sich letztlich amorph herausschälenden Handlung ist, fühlt er sich als optisch nicht Autochtoner unter terroristischen Generalverdacht gestellt (das Original spielt in Schweden).

Tatsächlich spielt Diskriminierung, wenn auch häufig angesprochen, mit Beispielen für Gewalt seitens Behörden und in Alltagssituationen unterlegt, im faktischen Geschehen eine eher untergeordnete Rolle und scheint zur Ausstattung Amors mit fixen Ideen zu gehören. In der Buch-Ausgabe arbeitet ein offener Brief an die schwedische Justizministerin Beatrice Ask das Thema Rassismus ab. Dieses greift die Dramaturgie der Kammerspiele mit einem Rassismus-kritischen-Phasen-Modell von Tupoka Ogette im Programm-Folder auf. Auf Colleges vielleicht Standard, scheint es hier als Schülermaterial doch etwas zu stereotyp und für den Text zu einseitig. Denn Amor, der seine Pfeile zwar eifrig verschießt aber nichts trifft, ist selbst gefangen in einer Art erweitertem Clan-Denken. Die ganze Tragik unterliegt einer sprudelnden Komik, wenn er Erfolg bei „seinesgleichen“ sucht für die dann doch vergebliche Reklamation eines kaputten Bohrkopfes.

„Ich rufe meine Brüder an und sage“ ist das durchgehende Motiv gliedernder Einschnitte und leitet Amors Scheitern in verschiedenen Phasen ein. Mit Familie ist es schwer, die Identifikation mit seinem Bruder verwirrt nicht nur ihn, der von der Liebe anderer abhängig ist. Die Menschen um ihn identifiziert er nach empfundenen Eigenschaften mit Elementen aus dem Periodensystem. Er ist sauer auf Cousine Ahlem, weil sie sich von ihrer wilden Jugend weg ins esoterische Gegenteil entwickelt hat. Er stalkt seine geliebte Valeria und versteht nicht, wie die für sie entwickelte Formel nicht funktionieren konnte. Eine Karolina aus einem Call-Center treibt ihn zur Weißglut. Seine Hemmungen wirken sich sogar auf die beständige Telefonitis aus. Er taumelt als armer Clown komisch durchs Leben. Die eigentlichen Grundthemen dabei: Einsamkeit und Sorge.

Die Inszenierung von Sarah Henker ist spritzig, zwischen den enorm wandlungsfähigen Bühnenelementen, die sich Philipp Eckle ausgedacht hat: Die konisch sich verjüngenden, weiß marmorierten Bauteile lassen sich in Art einer barocken Kulissenbühne für Auftritte ordnen und geben genau so gut Inventar oder Architektur wieder.

Die Altersempfehlung ab 13 ist engagiert. Wohl eher ein Fall für Oberstufe und jedenfalls für Erwachsene. So stürmischer wie verdienter Applaus für das gesamte Team.

Aufführungen bis 11. Juni in den Kammerspielen des Landestheaters – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Christian Krautzberger

 

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