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Die Vampirin wirft die Sex-Maschinerie an

GRAZ / SCHAUSPIELHAUS / CARMILLA

12/04/24 Die Novelle Carmilla von dem Iren Sheridan Le Fanu war Vorbild für den Dracula seines Landsmanns Bram Stoker. Bei Le Fanu ist der Vampir freilich eine Frau – und Carmilla ist ihrem weiblichen Opfer nicht nur des Frischbluts wegen zugetan. Luise Voigt hat die Geschichte in Graz aus weiblicher Perspektive gelesen.

Von Reinhard Kriechbaum

Wiewohl Sheridan Le Fanu (1814-1873) als einer der Namhaftesten der klassischen Schauerroman-Literatur gilt, liest ihn keiner mehr. Aber immerhin ist Carmilla, 1872 veröffentlicht, zwischen 1932 und 2020 siebzehn Mal verfilmt worden. Die weibliche Perspektive drauf zu richten, ist logischerweise reizvoll. Schließlich sind die Frauen im literarischen Original zwar Hauptpersonen, haben aber wenig auszurichten. Die Männer bestimmen, wo's lang geht mit der Vampirin und ihrem Liebes-“Opfer“. Die junge Dame wird „geheilt“ von der Freude an der lesbischen Beziehung, indem die Vampirin gründlich erledigt wird: Pfahl ins Herz, Kopf ab, alles ins Feuer und die Asche in den Fluss.

Laura heißt das „Opfer“ der vermeintlichen Vampirin, die durch einen Kutschenunfall herein schneit ins Landschloss mit Blick ins verschneite Gebirge. In Graz spielt Anna Klimovitskaya dieses angeblich ahnungslose junge Ding, von dem in der zur Satire aufgezwirbelten Dramatisierung einmal zweideutig gesagt wird, sie habe „von Tuten und Blasen keine Ahnung“.

Ganz die Unschuld vom Lande Steiermark (dort spielt die Geschichte, passt also gut ins Schauspielhaus der Landeshauptstadt) ist Laura doch nicht. In der ersten Szene sehen wir sie am Plüschsofa, eine Orangenhälfte muss als Vagina-Ersatz herhalten, die Finger wühlen drin. Die gespielten Lustschreie wetteifern mit dem Gebläse von vier Musikanten in Lederhose.

Die Geschichte wird uns in teils bizarren Szenen häppchen- und schnäppchenweise vorgeführt, wobei Comic-Ästhetik und plakativ-tumbe Pornofilm-Bildwelten wetteifern. Die Handkamera ist so allgegenwärtig wie der Männerblick auf den weiblichen Körper. Ein Maso-Teufel mit Peitsche führt durch die Geschichte, und es verwundert gar nicht, dass gerade er dann auch der Pfarrer mit mächtig erigiertem Plastik-Penis sein wird.

Es geht ja dezidiert ums verzerrende Spiel mit Klischees. Laura tanzt im weißen Babydoll wie ein Porzellanpüppchen. Ihr Vater, der Schlossherr, wirkt im Hausanzug wie ein zum bürgerlichen Zerrbild verkommener Ex-Achtundsechziger. Der General wäre wohl lieber Popstar und trägt stolz eine SixPack-Attrappe. Gesangseinlagen, Pop quer durch den Krautacker, spielen eine wichtige Rolle und bringen Ironie und Parodie ein. Der Landarzt will sich angesichts der bewusstlos herbei transportierten Carmilla gleich mal über sie her machen, was der Schlossherr denn doch verhindert. Gouvernante und Hauslehrerin sind Frauen, die in einer Szene zwar ihre unerfüllten sexuellen Sehnsüchte artikulieren, aber im Grunde mitspielen in der männerorientierten Ordnung.

Der Witz der Sache: Keine dieser Szenen ist in sich stimmig, die Selbstentlarvung hat System. Immer wieder werden auch Probengespräche mit den Schauspielerinnen und Schauspielern eingeblendet, die ihrerseits die Stereotype der literarischen Vorlage und heutige Vorurteile reflektieren. Bei aller Überdrehtheit, Grellheit und lustvoll arrangierter Bizarrerie sorgt Regisseurin Luise Voigt also auch beinah oberlehrerhaft dafür, dass ja alle im Publikum in die richtige, feministisch und queer korrekte Richtung denken. Nicht mal Überlegungen zum Genderverbot von konservativer Seite werden ausgelassen.

Und Carmilla (Annette Holzmann), die Titelfigur? Die wird quasi als Spielfigur vom Brett genommen. Sie ist real eigentlich nur kurz als Kutschenunfallsopfer auf der Bühne. An ihr entzünden sich nicht nur die sexuellen, lesbischen Sehnsüchte von Laura. Luise Voigt lässt die ganz Story in ein schier nicht enden wollendes Bacchanal der ganzen Gesellschaft münden, mit der Handkamera aufgenommen und auf einen Gaze-Vorhang überdimensional projiziert. Niederschmetternd überbordende Lust sozusagen. Ungläubig schaut Carmilla, die das alles wie ein Katalysator bewirkt hat, in Großprojektion darauf. Ihr Blick wandelt sich in Entsetzen, wenn sie ihr eigenes Schicksal dräuen sieht.

Die „geheilte“ Laura wird zuletzt mit fester Stimme, entschieden und durch keinerlei Zweifel angekränkelt, die Notwendigkeit des Vampir-Mords erklären. Und der Maso-Teufel wird auch noch mals hereingeistern, die „böse, böse Bühne“ geißeln, aber sie auch dafür loben, dass sie es hier so hat treiben lassen. Bühne eben, „sonst wärst Du ein Kongresszentrum oder eine Mehrzweckhalle“. Hängt dramaturgisch ein wenig in der Luft, ist aber immerhin ein letzter guter Einfall.

Aufführungen bis 13. Juni – www.schauspielhaus-graz.at
Bilder: Bühnen Graz / Lex Karelly

 

 

 

 

 

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