Ohne Schatten muss auch der Kaiser versteinern
WIENER STAATSOPER / DIE FRAU OHNE SCHATTEN
27/05/19 Nur wenige Stunden nach der gelungenen Geburtstagsmatinee hob sich der Vorhang für die Festpremiere: Richard Strauss’ vor hundert Jahren uraufgeführte Oper Die Frau ohne Schatten wurde dank exquisiter Solisten, Christian Thielemann und Staatsopernorchester zu einem denkwürdigen Geburtstagsgeschenk im Rahmen des 150-Jahr-Jubiläums der Wiener Staatsoper.
Von Oliver Schneider
Wer wäre bei dieser Oper auch prädestinierter für die musikalische Leitung als Christian Thielemann, der in Wien – genau wie 2011 in Salzburg – die ungekürzte Fassung dieser Mischung aus Zauberflöte, Wagners Feen und Goethes Faust dirigiert. Überwältigend leuchtet die Musik in ihrer schillernden Farbigkeit und mit ihren eruptiven Klangballungen, ohne dass die Protagonisten zugedeckt werden und sich ihre Worte in den Klängen verlieren. Man versteht jedes Wort! Wie zuletzt bei Wagners Meistersingern in Salzburg fächert Thielemann die Partitur immer wieder so auf, dass die kunstvolle Instrumentation klar durchschimmert. In den rein instrumentalen Momenten und Zwischenspielen schwelgt er dann mit den fabelhaften Musikerinnen und Musikern des Riesenorchesters in den umhüllenden Klängen.
Vincent Huguet beschränkt sich aufs Erzählen, was den Vorteil hat, dass man der märchenhaft-durchpsychologisierten Handlung gut folgen kann. Interpretierenden Inszenierungen ist bei diesem Werk nicht immer Glück beschieden. Wie im Märchen beginnt der Abend im Pavillon des Kaiserpaars auf einem Pier inmitten des Sees, über dem es langsam Tag wird und im Hintergrund schon die bedrohliche Felsenwelt Keikobads zu sehen ist (Bühne: Aurélie Mestre, Kostüme: Clémence Pernoud). Freilich würde sich die Bühne auch für andere Werke des Opernrepertoires eignen. Unschuldig und übermütig gibt sich Camilla Nylund als Kaiserin mit Mozartischen Koloraturen, während Maria Nazarova als Falke sie glockenrein und traurig an das nahende Schicksal erinnert (sie singt auch den Hüter der Schwelle). Nylund füllt die Facetten der Kaiserin bis zu ihrem dramatischen, inneren Kampf gegen die Versuchung wunschlos glücklich machend aus.
Evelyn Herlitzius, die in Salzburg 2011 die Färberin gestaltete, hat nun zur Amme gewechselt. Sie ist die Anstifterin, die die Kaiserin in Baraks Haus führt und die tiefe Unzufriedenheit der Färberin mit ihrem armseligen Leben so steigert, dass sie bereit scheint, ihren Schatten zu verkaufen. Herlitzius ist eine Amme, die von Dämonie durchdrungen ist, die aber am Ende als Dank für ihr schlechtes Werk vom unsichtbaren Geisterkönig zu den ihr verhassten Menschen verstoßen wird. Dank Thielemanns subtiler Begleitung kann Herlitzius ihre Stimme gut kontrollieren. Das sonst stärkere Flackern in der Stimmführung macht sich weniger bemerkbar. Den grauen Färberhaushalt verwandeln die Amme und die Kaiserin als devote Dienerinnen mit dunkelblauen Tüchern in ein ansehnliches Heim, was das Missbehagen der Färberin noch steigert. Nina Stemme gibt ihr Debüt unangestrengt auftrumpfend in den hochdramatischen Kraftentfaltungen und großem lyrischem Ausdruck.
Ein perfekteres Damentrio als Herlitzius, Nylund und Stemme kann man sich zurzeit nicht vorstellen. Den Höhepunkt des Abends bildet der Moment im zweiten Aufzug, wenn die durch die Amme manipulierte Färberin ihrem bis dahin so gutmütigen, liebevollen und sonoren Gatten Barak (Wolfgang Koch) ins Gesicht schleudert, sie würde ihren Schatten verkaufen. Das sehr gute Brüdertrio (Samuel Hasselhorn, Ryan Speedo Green, Thomas Ebenstein) zündet ein Feuer an, damit der kurzfristig rasende und enttäuschte Barak sich vom nicht mehr vorhandenen Schatten überzeugen kann. Er droht seiner Frau mit dem Tod. Brodelnde Lava im Hintergrund wirkt zusätzlich illustrierend (Video: Bertrand Couderc). Zum Glück für beide ist der Verkauf nicht erfolgt und nach einem Umherirren im Totenreich als Prüfung finden sie glücklich zurück zueinander.
Genau wie das das Kaiserpaar: Dank der Erkenntnis der Kaiserin und ihrem Mitleidempfinden für das Färberehepaar wird der Kaiser aus seiner Versteinerung erlöst. Stephen Gould gestaltet seinen Monolog im zweiten Aufzug mit metallischen Höhenaufschwüngen und dem nötigen Volumen. In der Rolle des Boten zwischen Geister- und Menschenreich überzeugt Sebastian Holecek mit kraftvollem Bassbariton. Auch alle weiteren kleineren Partien sind sorgfältig besetzt und geben, wie die Chöre des Hauses, alles, um den Abend zu einem Geburtstagsgeschenk werden zu lassen.
Entlassen werden die begeisterten Zuschauer – nur für das Regieteam gab es ein paar Buhs – nach gut viereinhalb Stunden mit dem strahlenden Jubelfinale, mit dem Chor der ungeborenen Kinder, einem Lichtermeer (Video!) und der Botschaft, wie die Kaiserin und die Färberin mit ihrem Umdenken einen Beitrag für eine bessere Welt zu leisten.