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Herzzeit im Big Apple

REST DER WELT / GRAZ / DER GUTE GOTT VON MANHATTAN

16/01/17 Der lange, intensive Kuss zweier Unbekannter, die auf dem Bahnsteig wie Magnete aneinander gezogen werden: schäumende Hollywood-Seife, hätte Ingeborg Bachmann darum nicht ein tendenziell beängstigendes Wortspiel um das Getrennt-Sein, ein Drama um das Die-Welt-um-sich-Vergessen gebaut. "Der gute Gott von Manhattan" im Grazer Schauspielhaus.

Von Reinhard Kriechbaum

Zum Zeitpunkt des Kusses wissen wir ja schon, dass sich ein "Guter Gott" einmischen wird, und das nicht zum Vorteil des Liebespaars. Da sitzt er, der so bärtige wie selbstbewusste Charismatiker (Franz Xaver Zach), mit langer silbergrauer Haarmähne. Ein judizierender Gott, einem Nazarener-Bild des 19. Jahrhunderts entstiegen? Da ist man ganz froh, ihn auf der Angeklagtenbank zu wissen, einvernommen von einem Advokaten-Paar, zwischen dem es spürbar auch knistert. Von Zweien, die also durchaus nicht "sine ira et studio" das Schicksal der beiden jungen Fremden in Manhattan aufrollen.

1957 hat Ingeborg Bachmann "Der gute Gott von Manhattan" als Hörspiel geschrieben. Da hatte sie selbst schon neun Jahre ihrer Nah- und Fernbeziehung mit Paul Celan hinter sich (er war seit 1951 in Paris mit Gisèle Lestrange verheiratet). Guter Grund für die Regisseurin Claudia Bossard, eine Lese-Szene aus "Herzzeit", dem 2008 erschienenen Briefwechsel zwischen der Bachmann und Celan einzuarbeiten in ihre Grazer Bühnenfassung des Hörspiels.

Was genau ist das nun geworden: ein Schauspiel, ein Hörspiel, eine Lesung? Elemente von alledem tauchen auf. Die Regisseurin hat wohl erkannt, dass man dem "Guten Gott von Manhattan" nicht wirklich Herr wird, indem man ihn szenisch aufbereitet. Da bleiben die quasi-lyrischen Einsprengsel, die intensiv gehört sein wollen. Ihnen steht die beinah banale Handlung entgegen, und das war der Regisseurin sehr bewusst. Von Monica Anabel Zimmer hat sie sich auf die kleine Probebühne (jetzt: Haus zwei) des Schauspielhauses eine Dekoration bauen lassen, die viel Bewegung ermöglicht. Eine metallene Treppe, mehrere Leitern, vier Waschmaschinen, zwei Fahrräder. Die durchaus zaghafte Annäherung des Liebespaars im Stundenhotel; ihr gemeinsamer Aufstieg in höhere Stockwerke New Yorker Hotels; das Ahnen (oder Wissen?) der Beiden, dass dieses unendliche Glück doch endlich ist, dass der junge Mann doch bald per Schiff abreisen wird. Das alles ließ sich da szenisch bewegt arrangieren. Die Regisseurin lässt Mathias Lodd und Tamara Semzov (Jan und Jennifer) aber auch aussteigen aus dem konkreten Spiel und an Mikrophone treten.

Vera Bommer und Nico Link vernehmen den "Guten Gott". Wie Kriminalisten werden sie "belastendes Material" einsammeln und in Plastiksäckchen sichern, einander näher kommen und sich fern bleiben. Schließlich stehen auch sie vor den Mikrophonen, das dicke Buch "Herzzeit" in Händen, und lesen einige Passagen. Zu dem Hörspiel gehört natürlich auch die charismatische Soundinstallation von Matthias Grübel.

Ganz wegwischen kann Claudia Bossard doch nicht, dass Bachmanns Sprache sich szenischer Konkretisierung wenn schon nicht direkt verweigert, so doch nachhaltig querständig dazu verhält. Da ist auf die schauspielerische Kompetenz dieser Gruppe zu verweisen, die das innere, retardierende Tempo der Wortbilder an entscheidenden Punkten greift und vermittelt. Höchst aufschlussreich die feine Gestik, mit der vor allem Tamara Semzov das ungewisse Hineintaumeln in diese Beziehung untermalt. Nicht minder denk-würdig der Wandel, den Vera Bommer glaubhaft vollzieht, wenn aus der distanzierten Advokatin die empathische, brieflesende Bachmann wird. Das ist fein gearbeitet.

Und der "Gute Gott", der ja dieser realitätsvergessenen Liebe ein Ende gesetzt und Jennifer ins Jenseits befördert hat? Er bekommt zwar keinen echten Freispruch, aber wenigstens Freigang. Liebe ist eine Sache, echtes Leben eine andere. In einer Schlussapotheose setzt sich Jennifer sich die Krone der Freiheitsstatue auf und tanzt zwischen Schneeflocken und Luftballonen. Die sich aus der Welt ausklinkende Liebe geht wohl tendenziell schlecht aus, aber nicht alles ist gleich verloren.

Aufführungen bis 15. Februar im Haus zwei - www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Schauspielhaus Graz / Lupi Spuma

 

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