Irres Konzept wird zum Ereignis
KULTURVEREINIGUNG / hr-SINFONIEORCHESTER FRANKFURT
24/04/25 Das hr-Sinfonieorchester Frankfurt unter Alain Altinoglu gastierte mit der Geigerin Vilde Frang und einem exzeptionellen Programm bei der Salzburger Kulturvereinigung – es erklangen das Violinkonzert von Schumann und die Fünfte Schostakowitsch.
Von Erhard Petzel
Robert Schumann ist bezüglich seines Nachrufes nicht unbedingt sanft behandelt worden. Seine geistige Zerrüttung gab durchaus Anlass zur Schmähung seiner künstlerischen Entwicklung. Um so absurder, dass sein Konzert für Violine und Orchester d-Moll posth. gerade im Nationalsozialismus ausgegraben wurde, was der Eliminierung des Juden Mendelssohn-Bartholdy aus den Konzertprogrammen geschuldet war. Lieber doch das Werk eines von Geisteskrankheit Gezeichneten, den man wenigstens in ein arisches Narrativ einbetten konnte.
Dass Familie und Umfeld Robert Schumanns sein 1853 verfasstes Werk unter Verschluss hielten, ist angesichts der Erwartungshaltungen an den Komponisten und der damaligen Hörgewohnheiten sehr verständlich. Einerseits.
Andrerseits ist die Wiederbelebung des Werks nach seiner Uraufführung 1937 für den heutigen Hörer ein Gewinn. Im Wissen um die Krankheit ist es ein Eintauchen in die seelische Verlorenheit Schumanns, ein empathischer Kurs in die mentale Kraft seiner Frau, die ihn und sein Werk pflegte und die Familie über Wasser hielt.
Dieser emotionale Schauer macht die Aufführung des Violinkonzerts heute zum Erlebnis ungeachtet der im Vergleich zum Werk davor geringeren kompositorischen Raffinesse. Die Qualitäten dieser Komposition wurden durch die Ausführenden beispielhaft herausgestellt. Das von Alain Altinoglu umsichtig und souverän geleitete hr-Sinfonieorchester produziert hier einen vollen, weichen Klang, der dem eleganten Spiel Vilde Frangs einen schimmernden und tragenden Untergrund liefert und die Solistin nie erdrückt. Dieser Charakter gilt in der ouvertürenhaft heroisch-tragischen Exposition ebenso wie im sehnsüchtigen Seitenthema voll sanfter Trauer. Tritt die Solovioline hinzu, dient das Orchester ehrerbietig und es entsteht agogische Kommunikation mit selbstverständlicher Virtuosität bei entspannt lockerer Haltung. Herrlich die klanglichen Tupfen und Interaktionen und die bei aller Rückgenommenheit wunderbare Dynamik zwischen Orchester und Solistin. Die verloren süße Melodie des langsamen Satzes ist schlicht, aber tief in den Raum greifend als ewige Melodie mit sensibel kommunikativer Struktur, lindes Seelenweh im gemeinsamen Spiel.
Vor allem der dritte Satz mag den Verwaltern des Werkes recht disparat erschienen sein. Harlekineske Marschelemente ziehen die Solistin hinter sich her und wirken leicht irritierend als variierend repetitive Dauerschleife, wie ein spielendes Kind in einem in sich selbst verfangenen Ritornell. (Für Kenner des Dr. Faustus: Thomas Mann hat mit seinem Adrian Leverkühn eine Assoziationsbrücke für ein solches Künstlerschicksal geschaffen.) Nichts also, was einem heutigen Hörer nicht vertraut wäre, sodass empathische Synchronisation als Schlüssel zur Öffnung für diese Musik fungieren kann. Gut dazu passend die barocke Zugabe, Antonio Maria Montanaris Giga Senzo Basso
Aber auch mit der Symphonie Nr. 5 d-Moll von Dmitri Schostakowitsch steht ein musikalischer Spezialfall auf dem Programm: Musik, mit der sich der Komponist dem tödlichen Zugriff des Stalin-Regimes zu entwinden suchte. Als Parodie auf die absurden Anforderungen sozialistischer Kunst, die von den Apparatschniks nicht als solche gewertet oder verstanden wird, konnte sich Schostakowitschs Stück – aufgrund der Indolenz der Machthaber – vorerst einigermaßen rehabilitieren.
Dirigent und Orchester finden eine ideale Balance zwischen banalem Brutalismus und der schöpferischen Ausdruckskraft des Banalen. Die Register glänzen sowohl innerhalb ihrer Hausmacht (profund die Streichorchester-Blöcke) wie in der Durchmischung und in diversen Ensemblebildungen mit ausgedehnten Kammermusikgespannen. Hier wird ein Konzept zum Ereignis, die Persiflage in überwältigende Kunst überführt, wenn die Ausführenden den rechten Zugriff und das richtige Maß finden. Und genau das war hier zu beobachten – aufregend und beglückend. Die Instrumente leuchten, leeres Geplärre entartet nicht unkontrolliert, die motivische Arbeit ist pointiert, auch wenn es sich nur um ein simples Intervall oder öde Leiter handelt. Berührend die dem absurden Walzer folgende Elegie im delikaten Wechselspiel von Streichern und Holz, ohne das Blech kein Schrei-Rausch des abschließenden Schauer-Marsches. Auch hier eine Zugabe, Nimrod aus Elgars Enigma Variationen, für den rauschenden Applaus – und man verlässt musikalisch befriedigt die Szene paradoxer Kunst.
Bild: SKV / Ebihara Photography