Teufelsgeigerin und Tastenderwisch
FESTSPIELE / KOPATCHINSKAJA / SAY
15/08/22 Volksmusik? Kunstmusik? Patricia Kopatchinskaja und Fazıl Say sprengen mit Geige und Klavier obsolete Grenzen und toben virtuos zwischen Volksweise und „nicht-tonaler“ Melodik von Janáček, Ravel und Bartók..
Von Heidemarie Klabacher
„Ravel und Poulenc mocheten den zweiten und den dritten Satz am liebsten, Milhaud den ersten, Stravinsky den dritten..“ Das schrieb Béla Bartók nach einer Privataufführung seiner Sonate für Violine und Klavier Nr. 1 Sz 75 in Paris, ein paar Monate nach der Uraufführung in Wien im Februar 1922. In Paris spielten der Komponist und die Geigerin Jelly d'Arányi, Widmunsträgerin halbrecherischer Virtuosinnenwerke ihrer Zeit. „Ravel saß zu meiner Rechten und blätterte für mich um, während Milhaud von links die Noten mitlas. Poulenc fungierte als Umblätterer.“ Ebenfalls im Publikum im Pariser Salon: Igor Strawinsky, Arthur Honegger, Karol Szymanowski und Albert Roussel.
Nun, am Sonntag (14.8.) im Großen Saal des Mozarteums waren keine berühmten lebenden Komponisten auszumachen. Der Umblätterer – obwohl ebenfalls gut gefordert – blieb wie üblich namentlich un-genannt. Neben ihm auf dem Podium auch nicht Béla Bartók und Jelly d'Arányi, sondern Patricia Kopatchinskaja und Fazıl Say. Und diese beiden rockten den Saal.
Die zwischen zeitgenössischer Tonsprache (der längst „klassischen“ zweiten Wiener Schule natürlich), volksmusikalischen Elementen seiner Heimat und urgeigenster Schöpferkraft des Komponisten changierende Bartók-Sonate bildete Abschluss und – ja durchaus – auch den Höhepunkt des Doppel-Solistenkonzerts Kopatchinskaja/Say. Musikalisch und musikantisch ein Hit! Klug ausgespannent die Kontraste zwischen oft geradezu perkussiv umgesetzen Rhythmen und ertaunlich gesanglichen (ja wirklich, gesanglich-sinnlich) Melodik, besonders natürlich im Violinsolo des zweiten Satzes.
Ist auch das finale Allegro voller Herausforderungen für die Virtuosen an Tasten und Saiten, war das eigentliche Bravourstük des Abends Maurice Ravels Tzigane – Rapsodie de concert für Violine und Klavier. Diese trägt die Teufelsgeigerei im Titel (Zigeuner darf man ja eigentlich nicht mehr sagen). Alles was sich ein Paganini an Herausforderungen und Gemeinheiten für Geiger erdacht hat, hat Ravel in diesem Bravourstück komprimiert. Auch hier ließ die Kopatchinskaja, neben stupender Geläufigkeit und Stilkundigkeit, mit einem betörend klangschön „gesungenen“ langsamen Part aufhorchen.
Für musikantische Melodik und melodisches Musikantentum stand an diesem temperamentvollen Abend Leoš Janáčeks Sonate für Violine und Klavier, wie Tzigane und Bartók-Sonate aus 1922. Hineingeschleudert in das Ganze wurde das jubelnde Publikum mittels Bartóks Rumänischer Volkstänze Sz 56 in der Transkription für Violine und Klavier von Zoltán Székely. Temperament, Musikantentum, gesammelte Volk-Musik umgesetzt in stupende Kunst-Musik in sechs Miniaturen – damit hatten Teufelsgeigerin und Tastenderwisch ihr Publikum schon gepackt.