Darf uns Toleranz auch mal auf die Nerven gehen
ARGE / MotzArt KABARETT FESTIVAL / MAURER
04/02/16 „Toleranz, meine Damen und Herren…“ – Ui, ja darf man denn das? Darf man über Toleranz lachen? Über einen Wert, der doch immerhin „eine tendenziell heterogene, im Umbruch befindliche Gesellschaft“ zusammenkitten soll?
Von Christiane Keckeis
Thomas Maurer, alias „Der Tolerator“, fragt nicht viel und tut in seinem neuen kabarettistischen Programm im Rahmen des MotzArt Kabarett Festivals alles, um die Facetten der Toleranz in Zeiten wie diesen zu beleuchten, in Frage zustellen, zu untermauern.
Was wie ein seriöser Vortrag beginnt, wird zu einem lustvoll-intelligenten Streifzug durch die Tiefen und Untiefen eines gesellschaftlich hochgehaltenen Wertes. Und sein Publikum, ein „deutlich gehobenes Bürgertum mit leicht alternativem Einschlag“ lässt sich gerne führen.
Maurer ist als alter Kabaretthase ein Meister im Spiel mit Erwartungshaltungen – und das ist, wie schon Kant definierte, eine gute Basis, um Menschen lachen zu machen. Auch spiegelnde Übertreibung, so Aristoteles, führt zu Gelächter. Es wird viel gelacht an diesem Abend. Und ganz manchmal bleibt es auch – durchaus gewollt – ein wenig im Hals stecken, wenn Maurer als guter Grenzgänger statt auf den erhobenen Abstand einmal kurz auf Gefühl setzt.
Wie die Komik beruht auch die Toleranz auf Überwindung der emotionalen Verstrickung, so lernen wir. Oder auf „maurisch“: Damit Du tolerant sein kannst, muss dir zuerst einmal etwas „richtig am A.. gangen sein“. Damit wir das nachfühlen können, lässt Maurer es uns spüren, meist musikalisch mit ausgiebigem Trommeln, Kazoo und fremder Harmonik oder mit Zweifingersuchsystem am Keyboard Sirtaki klopfend bis zur Schwererträglichkeit. Wir verstehen schnell.
Das Tolerieren braucht aber auch Souveränität und Handlungsmöglichkeit - um nicht zum Erdulden zu werden. Maurer zeigt, wie schnell da die Grauzone erreicht ist mit Beispielen aus Lebensbereichen. Da kommt die Auseinandersetzung mit den eigenen Sprößlingen mit Wiedererkennungswert ebenso zum Zug wie der Versuch einer argumentativen Diskussion mit einem FPÖ-nahen Suderer.
Maurer schlüpft in alle Rollen und das (manchmal erschreckend) meisterhaft: Er wechsetl schnell und mühelos vom seriösen gebildeten Intellektuellen in den einfältigen, stets Recht behalten wollenden Bauernbuben, in das schreckliche Monster, in den deutschtümelnden pensionierten Gymnasialprofessor, in den Tasso zitierenden Schauspieler, in den bayrischen CSU-Abgeordneten und den deutschen Grünen, der eigentlich falscher ukrainischer Russlanddeutscher ist - und schlüpft ebenso mühelos auch in den verbissenen unbelehrbaren FPÖ-ler.
Asylanten dürfen natürlich thematisch nicht fehlen, nonaded. Maurer ist politisch dafür bekannt und bezieht Position: Die Haltung der österreichischen Regierung zur Flüchtlingsfrage gleiche einem „chloroformierten Murmeltier, das im Winterschlaf von einem Schlaganfall heimgesucht wird.“ Treffend.
Auch Facebook kommt ausgiebig zu Wort: Hass-Postings entlarven sich selbst. Und sie machen betroffen. Wo bleibt da die Toleranz? „Man kann nicht die Menschen mit Vernunft von etwas abbringen, wozu sie nicht durch Vernunft gebracht werden.“ Mit diesem Zitat von Jonathan Swift rettet Maurer sich und das Publikum allenfalls in eine duldende Resignation.
Immer wenn es dann allzu ernst wird, macht Maurer einen kleinen Schlenker. Damit wir nicht vor lauter Position beziehen ins Intolerante abwandern müssen. Ein bisschen Aufregen über das Wort „lecker“ und es in den österreichischen Dialekten durch den Kakao ziehen. Ein bisschen Dialog mit dem erstaunlich liberalen Propheten Mohamed im Traum. Ein Exkurs zur Mode der Lebensmittelintoleranzen, die so chic sind, dass man ohne gleich out ist – schon ist der emotionale Abstand wieder da.
Und das Lachen. Dramaturgisch raffiniert ziehen sich die Hängemattte, Goethe, Mohamed Ali, Karl May und einiges andere durch das gesamte Programm, frei nach dem Motto einer Impro-Übung: Bringe die nicht zusammenhängenden Begriffe im Spiel so unter, dass eine stimmige Handlung entsteht. Das macht er genial, der Maurer.
Letztlich bleibt: Auch die Toleranz kann auf die Nerven gehen. Die Frage, wie viel Toleranz es braucht, um die Toleranz zu tolerieren, steht am Ende. „We shall overcome“ singt er, der Tolerator – und er singt es so, dass es uns so richtig „am A… geht“. Ja, darf das denn sein? Darf uns Toleranz nerven?