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Uralt und ur-jung

REST DER WELT / GRAZ / DIAGONALE

24/03/14 Ein Mann zwischen zwei Frauen. Der Altersunterschied zwischen den beiden lebensfrohen Damen: etwas über sechs Jahrzehnte. „Der letzte Tanz“ von Houchang Allahyari mit Erni Mangold ist Siegerfilm bei der am Sonntag (23.3.) zu Ende gegangenen „Diagonale“ in Graz. In einer weiteren Hauptrolle: Daniel Sträßer.

Von Reinhard Kriechbaum

179„Giftmischer“ kreischt die alte Frau und zieht sich die Decke über den Kopf. Als „bösartig“ stuft sie die Oberschwester ein. In der Demenz-Abteilung der Geriatrie kommt das Bürgerinnensöhnchen Karl als Zivildiener in Kontakt mit dieser uralten Dame, die ihn auf Anhieb fasziniert und die ihrerseits – sagen wir es salopp – voll abfährt auf ihn. Der unerfahrene junge Mann rasselt hinein in eine gesellschaftlich natürlich aus gutem Grund geächtete Situation: die sexuelle Beziehung zu einer entmündigten Patientin.

Als Kriminalgeschichte wird uns das erzählt. Karls Frühstück mit der Frau Mama wird rüde unterbrochen, der junge Mann in Handschellen abgeführt. Kommt ein Unschuldiger in die Mühlen der Exekutive, wird er gar Opfer polizeilicher Willkür? In Schwarzweiß ist diese Episode gedreht, die Farbe kommt erst,wenn zurück geblendet wird. Da ist also Karl, mit der Mutter allein aufgewachsen. Er hat, sagen wir es vorsichtig, ein nicht ganz lockeres Verhältnis zu Frauen mitbekommen. Die offene und liebeslustige Schulkollegin, die auf ihn ein Auge geworfen hat, überfordert ihn eindeutig. Und erst recht die steinalte Alzheimer-Patientin, die ihm gegenüber geradezu mädchenhaftem Charme auslebt. Geradeheraus gesagt: Die Uralte vernascht den Ur-Jungen, und da gäbe es wenig dagegen zu sagen, wäre die Frau im Vollbesitz ihrer der Rechte, würden nicht Bevormundung – in Recht und Krankenhauspraxis – dagegen sprechen.

180Der in Wien lebende, aus Persien stammende Houchang Allahyari ist ein Singulär in der österreichischen Filmemacher-Szene. Er ist nicht nur Regisseur und Produzent, sondern auch Psychiater. Als solcher hat er sich selbst auch als Schauspieler (sozusagen im „Brotberuf“) in seinen Film eingebracht. Was er erzählt, ist heftig, aber auch wieder so weit nicht hergeholt. Houchang Allahyari ist es gelungen, mit „Der letzte Tanz“ einen in hohem Maß dissonanten Chor an Seelenstimmen zu vereinen. Der Regisseur bringt sich mit Intimkenntnis der Materie ein. Trotzdem hat er (was alles andere ist als selbstverständlich) einen packenden Film und nicht eine psychologische Doktorarbeit gemacht. Irgendwie muss man mit allen Protagonisten, wirklich mit allen, größtes Mitleid haben. Sie sind entweder Gefangene ihrer selbst oder der gesellschaftlichen Konvention. Für zuviel Menschlichkeit ist kein Platz in unserem System der Alten-Versorgung. Und dass sexueller Missbrauch einer Patientin kein Kavaliersdelik ist, versteht sich von selbst und ist gut so. Allahyaris Film erzähle „von einem jungen Zivildiener, der für einen vermeintlich unakzeptablen Akt der Liebe und der Menschlichkeit von der Gesellschaft ausgeschlossen wird“, befand die Jury und lobte nicht zuletzt die Darsteller.

Tatsächlich grandios Erni Mangold. 87 Jahre ist sie alt und spielt da eine im Herzen blutjunge, charmante und pointiert scharfzüngige Alzheimer-Patientin. Jeder ihrer Blicke, jede Geste, jedes Wort eine zweischneidige Sache. Aus gutem Grund hat sie auch den Diagonale-Schauspielreis für diese Rolle eingeheimst: „Das ist hohe Schauspielkunst, berührende Menschlichkeit, definitiv ein starker Auftritt und eine große, vielleicht bleibende Szene der österreichischen Filmkultur“, heißt es in der Jurybegründung.

. Die Rolle des Zivildieners Karl ist eine bemerkenswerte Station in der noch jungen Karriere von Daniel Sträßer. Dieser an der Universität Mozarteum ausgebildete Schauspieler ist 2011, frisch von der Schauspielschule weg, ans Burgtheater engagiert worden und hat dort in „Romeo und Julia“ debütiert – in der männlichen Hauptrolle, wohlgemerkt. In „Der letzte Tanz“ spielt er äußerst präzis diesen schwierigen Charakter, für den man logischerweise nicht automatisch Sympathie aufbringt. Da wird ein junger Mann Opfer und Täter, Täter und Opfer – und der Regisseur verweigert jeden Schuldspruch. Irgendwie hat „Der letzte Tanz“ die unerbittliche Anmutung einer griechischen Tragödie.

Bilder: Diagonale / Reinhard Mayr
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