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Kuhn kann Oper – jetzt noch besser

REST DER WELT / ERL / TIROLER FESTSPIELE

02/01/13 Über die Weihnachtszeit konnten Musikfans in einem futuristisch gestylten Kulturtempel in Erl schwelgen. In Opern, Messen, Konzerten. Das neue Festspielhaus duckt sich neben dem „alten“ weißen, vor knapp 60 Jahren erbauten Passionsspielhaus wie ein schwarzer lauernder Kater.

Von Hans Gärtner

Die „Strabag“ machte es möglich. Genauer: ihr Vorstandsvorsitzender Hans Peter Haselsteiner, Tiroler Festspiel-Präsident, Freund und Landsmann von Gustav Kuhn. Beide, der Unternehmer und der Künstler, haben dem kleinen Tiroler Dorf an Bayerns Südgrenze – just wie vor Zeiten das Provinzstädtchen Bayreuth – das  Akustikwunder eines neuen Festspielhauses beschert. Die Erler haben nun also ein raumschiffähnliches, von Kuhn nonchalant „Tarnkappenbomber“ getauftes Festspielhaus gekriegt. In diesem Sommer wird es zeigen können, dass es nicht bloß für die kalte Jahreszeit taugt. Kuhn bespielt dann seinen „Bomber“ mit Verdi satt, während nebenan das 400-jährige Passionsspieljubiläum gefeiert wird.

Bis Dreikönig spielt Kuhn, was er immer schon kann: Oper. Die kann er jetzt noch besser. Oper – und noch einiges mehr. Die Akustik des neuen Hauses übertrifft an Qualität die des alten, die bekanntlich Wagner voller klingen ließ als, so sagen viele, in Bayreuth. Auf einen hochlöblich besetzten Bartók („Blaubarts Burg“) folgten, von der Besetzung her gesehen, zwei nicht weniger rühmlich gebotene Musiktheaterstücke: W. A. Mozarts „Le nozze di Figaro“ und Verdis „Nabucco“ (den Kuhn ausnahmsweise mal in die Regie-Hände seines Adlatus Andreas Leisner legte). Der „Figaro“ kam cool und eisig daher, erstarrte beinahe in gestylter Eleganz. Kuhn liegt Mozart zwar am Herzen aber nicht so sehr, was die Kunst, ihn leicht und zügig, duftig und transparent zu präsentieren angeht. Glück hatte er, auf der für die Intimitäten und Intrigen des „Figaro“ viel zu breiten, minimal bestückten Bühne (Jan Hax Halama) die adrett-witzigen Kostüme von Lenka Radecky zeigen zu dürfen. Sie kleideten Sängerinnen und Sänger von hoher Mozart-Kultur (Giulio Boschetti als Figaro, Sabina von Walther als Contessa), wobei Michael Kupfer als Conte alle haushoch überragte: als kernig-edles, intelligent-gewandtes Mannsbild mit bissfestem Kavaliersbariton.

In Sachen Verdi wil Kuhn nach dem Winter-„Nabucco“ im Sommer „Rigoletto“, „Trovatore“ und „Traviata“ folgen lassen. Regisseur Andreas Leisner kam über Oratorien-Statuarik in wiederum fescher Kostümierung nicht hinaus. Kuhn bot wieder einige in seiner Accademia di Montegral geschulte Stimmgrößen auf: die Abigaille der souveränen, jenseits allen Heroinengehabes agierenden Anna Princeva, den Ismaele des Strahlemanns Alessandro Liberatore, den freilich besser in Mezzavoce-Stellung deklamierenden als vor dem wundervoll zarten Gefangenenchor röhrenden Zaccaria von Andrea Silvestrelli (dem umwerfenden „Blaubart“ am Eröffnungstag) und letztlich auch den in Verwirrung geratenen, kronelosen Babylonier-König des zu stark aufdrehenden Thomas Gazheli. Fürs  Bühnenbild stand Festspielhausarchitekt Roman Delugan ein: viel Schwarz für Höhlen und Treppen, lange Stege und Brücken. Kuhn brachte den hier mal belcantistisch aufgefassten „Nabucco“ grandios zu Gehör. Das Publikum lobte und tobte.

Das tat es bei keiner der beiden vom Rezensenten miterlebten Messen. Für Gustav Kuhns bieder, spannungsarm, abwechselnd im Stehen und Sitzen mau dirigierte, durch Chorteilung und Solistenwanderungen zu belebten versuchte Messe in h-Moll von J. S. Bach (kein Chor hat je dieses Werk so mulmig und textversteckt gesungen, mit dem Solistenquartett könnte es leicht manche Kantorei selbst aus dem näheren Umkreis aufnehmen) konnte man sich so recht erwärmen. Aber auch nicht wirklich für die weitaus konzentrierter und nerviger geleitete Rossini-„Petite Solennelle“. Bei Rossini  hatte Kuhn ein verlässliches Doppelquartett als Background, vier taugliche Solisten, vor allem einen ersten Pianisten, dem der Lorbeer dieser Sonntags-Matinee gebührt: Davide Cabassi. Das herrschende Einverständnis zwischen dem jungen Milanesen und seinem Spiritus Rektor verriet der häufige, von Lächeln getragene Blickkontakt. Warum Kuhn die hochkarätig geplante Besetzung der Herren-Soli zugunsten einer wenig spektakulären Wahl zurücknahm? Ein Grund könnte sein, möglichst vielen seiner im fernen Lucca seit Jahren herangezogenen Stimmbegabungen die Chance eines Soloauftritts zu geben.

Eine Entschädigung brachte das Silvesterkonzert. Da bezauberten drei Damen und drei Herren der Accademia di Montegral von Lucca das zu Bravostürmen gerührte Publikum derart, dass es zu einem „Traviata“-Gelage-Dacapo kam, an der alle noch einmal brillieren konnten: Gocha Abuladze, Giulio Boschetti, Svetlana Kotina, Alessandro Liberatore, Soojin Moon und Bianca Tognocchi. Sie ließen sich mit Rossini-, Verdi-, J. Strauß- und Bernstein-Juwelen nicht lumpen, versetzten die beglückte Zuhörerschaft des ersten Tiroler Festspiel-Silvesterkonzerts in Verzücken – und das nicht zuletzt dank zweier bisher ungenannter wesentlicher neuer Erl-Komponenten: des brillanten William Lacey am Pult (Kuhn applaudierte aus der 8. Reihe) und des konkurrenzlos spielenden, reaktionsgenauen wie kraftstrotzenden Orchesters der Tiroler Festspiele Erl.

Die 1. Tiroler Festspiele Erl Winter dauern noch bis 6. Jänner - www.tiroler-festspiele.at
Bilder: www.tiroler-festspiele.at / Tom Benz

 

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