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Zum Straucheln braucht‘s den Strauch nicht

GRAZ / DER FALL DORFRICHTER ADAM

10/12/10 "Ich arbeite letztlich an der Glaubwürdigkeit", erklärt Michael Jackenkroll in einer der ersten Szenen. Leute wie er stehen normalerweise nicht auf der Bühne, nicht mal im Programmheft. Er ist Sprecherzieher.

Von Reinhard Kriechbaum

Einmal in der Woche, so erfahren wir, kommt Jackenkroll nach Graz und arbeitet mit den Schauspielern: einer der unbedankten Berufe im Theater, mit wenig Chance, vom Publikum wahrgenommen und je mit einem Gesicht verknüpft zu werden. Der Schauspieler hat in der Hinsicht entschieden bessere Karten.

Aber halt. Wir haben uns ja nicht ins Beruferaten verirrt, auch wenn diesmal Herr Jackenkroll eine der beiden Hauptfiguren ist. Der 1979 in Basel geborene Regisseur Boris Nikitin nimmt uns mit seinem auf der Probebühne des Grazer Schauspielhauses uraufgeführten Bühnen-Essay "Der Fall Dorfrichter Adam" mit auf eine Reise ins pulsierende Herz (oder womöglich in die schwarze Seele) des Theaters. Was ist schon wahr von dem, was wir dort sehen, erfahren, was uns mit Übereifer eingebläut oder wohlmeinend mitgegeben wird?

Zwei Leute (der andere ist der Schauspieler Gustav Koenigs) fangen ganz unbefangen an, über sich zu reden. Wie sie das geworden sind, was sie sind. Was sie tun im Theater. Wann und wobei sie sich gut oder nicht ganz so gut fühlen. Daraus wächst eine scheinbar alltägliche Arbeits-Situation, man feilt an den ersten Sätzen aus dem "Zerbrochnen Krug".

Da wird also Dorfrichter Adam gefragt, was ihm passiert sei. Und der antwortet mit gefinkelter Aufrichtigkeit, er sei gestrauchelt. Rhetorische Finte: "Ist ein Strauch hier?" Den braucht es nicht, denn "jeder trägt den leid'gen Stein zum Anstoß in sich selbst". Alles wäre schon offenkundig, würde der Gerichtsdiener Licht seinen Chef bloß beim Wort nehmen. Aber das Wort ist trügerisch und schlüpfrig. Die Sprache, "sie kann unser Inneres nicht malen", hat Kleist geschrieben. Eher unförmige Kleckse und Patzer also rund um die Fläche, die eigentlich zum Wort-Bild werden sollte?

Aus ein paar Partikeln nur besteht der anregende achtzigminütige Dialog auf nackter Spielfläche, der in Graz uraufgeführt wurde. Immer wieder heben die beiden an mit ihren eigenen Lebensgeschichten, und die Biographien verändern sich zusehends. Ist die Variante eins oder eine der Abwandlungen wahr? Warum sind wir bereit, eher der einen oder doch der anderen Variante zu glauben? Wieso erzählen die beiden überhaupt so viel von sich, wo sie doch offenbar zusammengekommen sind, um eine Szene zu proben? Wie ist das mit der Rolle und dem Menschen dahinter?

Raffiniert verschränkt entwickelt sich ein beinah ins Philosophische schraubender Diskurs, der doch immer ganz nahe am (Theater)Leben bleibt, greifbar scheint und sonnenklar, wie von Bühnenscheinwerfern beleuchtet. Es sind aber bloß Neonröhren, und die flackern manchmal wie Lügendetektoren.

Sprecherzieher und Schauspieler, "zwei Experten für glaubwürdiges Verstellen verhandeln ihren Fall" - so trocken klingt das auf dem Programmzettel. Tatsächlich wird man hineingezogen in ein raffiniertes Text-Elaborat aus Hintergründigkeit und feinem Humor. Man darf schon auch schmunzeln, wenn der Schauspieler bündig erklärt: "Ich habe etwas davon gehabt und das Publikum auch - eine Win-win-Situation."

Einmal brennt sogar ein Notlicht durch und der Erste-Hilfe-Kasten explodiert. Und ein andermal kommen die beiden ins Raufen, während sie sich immer und immer wieder die eine Theaterszene gleichsam um die Ohren hauen. Es steckt eben viel energetisches Potential drin, wenn man sich mit Kleist und einem diskurs-freudigen Regisseur und Stückerfinder wie Boris Nikitin einlässt auf eine Betrachtung von Sprache und ihrer (Un)Schärfe. Das Premierenpublikum war begeistert.

Aufführungen bis 24. Jänner 2011 - www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Bühnen Graz / Lupi Spuma

 

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