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Der Renitente aus der Wiener Paniglgasse

WIEN / JOSEFSTADT / DER BOCKERER

18/10/21 Viel Zeit ist vergangen, seit Karl Merkatz den Bockerer im fernsehen gegeben hat und dies eine Aufführungswelle auch im Theater ausgelöst hat, die freilich längst abgeebbt ist. Viel Vergangenheit ist unterdessen aufgearbeitet. Der Bockerer steht im Theater in der Josefstadt eigentlich ganz neu auf dem Prüfstand.

Von Reinhard Kriechbaum

Frau Bockerer hat übereifrig die Urkunden der ganzen Sippschaft für die Ariernachweise zusammengetragen. Dass der Sohn „reinrassig“ ist, lässt ihren Mann kalt: „Ist er ein Dackel, unser Hansi?“ Über das Fragezeichen in einer der Geburtsurkunden macht sich der Bockerer auf Kosten seiner Frau lustig. „Zigeuner oder Zulukaffer“ in ihrer Ahnenreihe? Politische Korrektheit war damals noch kein Thema – und sie wäre sowieso nicht die Sache des Herrn Bockerer.

Der Wiener Schauspieler Ulrich Becher und der Berliner Schriftsteller Peter Preses schrieben das Stück während der Hitler-Herrschaft im amerikanischen Exil. Pate für den legendären Karl Bockerer, „bürgerlicher Fleischhauer und Selchermeister in der Paniglgasse“, stand eine von Friedrich Torberg schon 1938 kreierte Figur, der zwischen Aufmüpfigkeit und Anpässlerei sich durch die repressive Zeit lavierende Herr Neidinger. Der wurde in Emigrantenkreisen von Zürich über Paris und London bis New York als eine Art Till Eulenspiegel der Nazi-Zeit gehandelt. Als Der Bockerer herauskam, bezichtigte Torberg die Kollegen des Plagiats.

Das Stück wurde schon 1948 in Wien uraufgeführt. Aber wer wollte damals die so zeitnahe Vergangenheit und die Anklage wegen Mitläufertums auf der Bühne sehen? Die Gegnerschaft von Friedrich Torberg war auch nicht gerade förderlich. Versenkung also. Einige wenige Aufführungen in Deutschland hatten nicht viel Resonanz, auch nicht eine österreichische TV-Verfilmung mit dem populären Fritz Muliar in der Titelrolle. Populär war erst der Bockerer-TV-Mehrteiler (Regie Karl Antel, mit Karl Merkatz in der Titelrolle), er sorgte 1981 zu einer kurzfristigen Hausse an Österreichs Bühnen. Merkatz spielte die Rolle einst auch im Salzburger Landestheater.

Der Bockerer jetzt in der Josefstadt: Die Titelrolle ist höchst dankbar, das führt Johannes Krisch eindrucksvoll vor. Der derbe, durch nichts und niemanden einzuschüchternde Bockerer spielt den Narren und hält damit die neuen Wiener NS-Machthaber zum Narren. Während Ehefrau und Sohn ideologisch überlaufen, bleibt der Bockerer renitent und aggressiv. Zwischen der Krakeelerei findet Johannes Krisch leise, vor allem gegen Ende hin berührende Töne. Bockerer, der Einzelkämpfer rettet nichts als seine eigene Haut. Der Sohn fällt vor Stalingrad. Der große Unterschied zum tschechischen Schwejk ist, das jener Dank kluger Verschmitztheit immer auf die Butterseite fällt. Dem Bockerer, durch und durch unraffiniert und uncharmant, liegen Winkelzüge fern. Er endet als Schmerzensmann.

In diesem Stadium kommt Hitler selbst auf die Bühne. Durch eine Bodenklappe dringt er ein ins Haus. Nein, kein Alptraum. Auch nicht der Diktator als Wiedergänger. Bloß ein aus der psychiatrischen Klinik entsprungender Doppelgänger. Ausgerechnet mit diesem Irren diskutiert der Bockerer ernsthaft – auch das eine menschliche Tragik. Mit fast tränenerstickter Stimme mahnt der Bockerer das Publikum zuletzt, wachsam zu bleiben.

Ein Problem des Stücks ist, dass die vielen, vielen Figuren drumherum nur schablonenhaft angelegt sind. Genau da setzt Regisseur Stephan Müller mit einem starken Hang zum Plakativen noch eins drauf. Klischee lass nach, möchte man beständig rufen. Mit starker Theaterpranke werden Zwischentöne, die man aus dem Text zugegebenermaßen erst mühselig destillieren müsste, weggewischt. Bühnenwirksam und effektvoll arrangiert, mit Schattenrissen und Projektionen, ist das freilich. Die Marschmusik scheppert martialisch. Das Premierenpublikum hat sich beim großen Ensemble für dessen Einsatz geradezu enthusiastisch bedankt. Für Johannes Krisch gab's verdientermaßen standing ovations.

Aufführungen bis 23. Juni 2022 – www.josefstadt.org
Bilder: Theater in der Josefstadt / Astrid Knie (2), Moritz Schell (1)

 

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