„Es ist nicht mein Krieg. Auch wenn er so tut“
WIEN / URAUFFÜHRUNG / ROJAVA
01/03/19 Auf einen wie Michael haben sie nicht gerade gewartet in der syrisch-kurdischen Region Rojava. Voller Idealismus war der junge Mann aus Wien aufgebrochen, um dort mitzuhelfen, eine demokratisch-liberale Welt aufzubauen. Überschätzt sich Michael gewaltig, maßt er sich eine Rolle zu, die ihm nicht zusteht?
Von Reinhard Kriechbaum
Ob er keine anderen Hobbys habe, muss Michael sich fragen lassen, und das bleibt nicht die einzige harte Bandage. Die Vorbehalte gegen diesen selbsternannten Polit-Missionar kommen nicht von ungefähr: Was für eine tollkühne Mischung aus ehrlicher humanitärer Gesinnung und kultureller Ahnungslosigkeit, gewürzt mit Unreife und Blauäugigkeit!
Seit 17 Jahren lebt der Arzt und Autor Ibrahim Amir, der selbst aus dieser Kurdenregion stammt, in Wien. Lang genug, um einen präzisen Blick zu entwickeln für die Grenzen von Utopien. In seinem vom Wiener Volkstheater in Auftrag gegebenen und dort am Donnerstag (28.2.) uraufgeführten Stück Rojava geht es ums zwangsläufige Scheitern des entschieden zu gut Gemeinten.
Rojava gilt als ein absolutes Positivbeispiel in Syriens Norden, weil man dort eine Form von basisdemokratischem Konföderalismus umzusetzen trachtet. Man bemüht sich, auch andere Meinungen zuzulassen und einzubinden. Selbstbewusste Frauen spielen dabei eine nicht unwichtige Rolle. Der Beifall des Westens ist gewiss (jedenfalls solange türkische Interessen nicht tangiert werden). Nach wie vor gilt es, den IS mit kriegerischen Mitteln abzuwehren. Und die neuen basisdemokratische Gesinnung kollidiert gelegentlich mit den Ansichten konservativer Bevölkerungskreise.
Ibrahim Amir entwarf die Geschichte zweier junger Männer. Michael, dieser Edel-Fremdenlegionär, trifft auf den Kurden Alan, der nichts will als weg. Alan hat seine ganze Familie im Krieg verloren, alle bis auf seinen blinden Cousin. In kurzen Spielszenen mit Vor- und Rückblenden spürt der Autor den Beweggründen der Protagonisten nach. Alan sieht im Europäer einen menschen mit irregeleitetem Helfersyndrom, Michael im kurden einen Verräter am eigenen Land.
Im Psychologisieren ist Ibrahim Amir entschieden besser als im Formulieren. Manches ist gar arg papieren geraten. Immerhin hat Amir auch Sinn für selbstironische Pointen. Dem Cousin, dem sprichwörtlichen blinden Seher, legt der Autor manch Hellsichtiges in den Mund. Trotzdem drängte sich bei der Uraufführung der Verdacht auf: Ohne die von dem Musiker-regisseur Sandy Lopičić gecastete, charismatische Sänger- und Instrumentalistengruppe wäre der über weite Strecken anämisch-unpoetische Text fürs Theater schwerlich zu retten. Vor allem die (unglückliche) Liebesgeschichte zwischen Michael und der Kämpferin in einer Frauenverteidigungseinheit wird extrem mühsam und umständlich abgehandelt.
Das Sinnliche ist Ibrahim Amirs Sache nicht. Da blieb also viel zu tun für den Komponisten und Regisseur Sandy Lopičić, der viel kaschiert. Sanfte Gruppenimprovisationen unterfüttern manche Sprechszenen, dann bricht die Musikergruppe wieder mit Vehemenz hervor. Bestechend einfach und stimmungsvoll die Ausstattung von Vibeke Andersen, ein Halbrund aus ruinenhaften Betonwänden auf der Drehbühne.
Peter Fasching ist Michael, dieser glücklose Kreuzritter von der traurigen Gestalt. In Luka Vlatković (Alan) hat er einen starken Gegenspieler, der sehr glaubwürdig versichert: „Es ist nicht mein Krieg. Auch wenn er so tut.“ Sebastian Pass zieht als der blinde Wahr-Sprecher alle Register. Die Frauenrollen sind vom Autor mit besonders sperrigem Text bedacht, und das ist schon deshalb höchst verwunderlich, trägt Ibrahim Amir doch die feministische Gesinnung wie ein Banner vor sich her.