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Vom Militär in den Wahnsinn getrieben

REST DER WELT / WIEN / WOZZECK

17/10/17 Robert Carsen geht in seiner „Wozzeck“-Inszenierung im Theater an der Wien von Alban Bergs eigenen militärischen Erlebnissen während des Ersten Weltkrieges aus und verortet den Abend in einem reinen Militärumfeld. Leo Hussain reüssiert am Pult der Wiener Symphoniker.

Von Oliver Schneider

Alban Bergs „Wozzeck“ hat zurzeit Hochkonjunktur auf den Spielplänen deutschsprachiger Opernhäuser. Im Sommer legten die Salzburger Festspiele eine bildreiche Inszenierung von William Kentridge vor, am Sonntag folgte das Theater an der Wien mit einer neuen Produktion von Robert Carsen, bevor dann nächsten Freitag Stefan Herheim in Düsseldorf seine Deutung präsentieren wird (mit Bo Skovhus in der Titelrolle).

Carsen und sein Ausstattungsteam (Ausstattung: Gideon Davey, Licht: Robert Carsen und Peter van Praet) haben einen sich perspektivisch nach hinten verlängernden Raum mit torartigen Öffnungen zu beiden Seiten geschaffen, der in den intimen Szenen – zum Beispiel beim Rasieren des Hauptmanns, im Kabinett des Doktors oder in Maries Stube – durch einen Vorhang geschickt abgetrennt wird, was rasche und klare Ortswechsel ermöglicht. Wände und Kostüme sind in militärischen Tarnfarben gehalten und machen Carsens Konzept von Anfang an deutlich: Wozzeck wird durch das harte Militärleben, das die gesamte Gesellschaft durchdringt, korrumpiert. Nur Kälte und Anonymität herrschen in diesem Raum, auch Andres ist nicht wirklich ein Freund. Marie und Margret sind ebenso erfasst von der Verrohung der Gesellschaft. Der Doktor und der Hauptmann sind in Wien weniger als Wahnsinnige gezeichnet, sondern mehr als quälende Sadisten. Etwas blass wirkt nur der feiste Tambourmajor.

Die Aggressivität um ihn macht Wozzeck zu dem, was er ist: ein Aussenseiter, der daran verzweifelt, dass sich Marie mit der Schlechtigkeit ihres Umfelds arrangiert hat und dadurch die Beziehung mit Wozzeck zerstört. Wozzeck bleiben als Ausweg nur der Mord an Marie – er schneidet ihr die Kehle durch – und der Selbstmord. Anders als Wozzeck kann sich Marie anscheinend mit den verrohten Sitten arrangieren. Heroin – oder eine andere gespritzte Droge – hilft ihr, über das Elend hinweg und sich in eine bessere Welt zu träumen. Wenn Wozzeck ihr Geld bringt oder in ihrer Mutterrolle zeigt sie zuweilen Anflüge von Milde und Liebe zu ihrem Kind. Wächst dann ein Kind in einer solchen Welt auf, kann auch es sich nur im Hamsterrad weiterbewegen und ebenso zum rohen Soldaten werden. Statt mit Schaukelpferden spielen die Kriegskinder mit Gewehren und üben das Töten, damit sie als Erwachsene das nicht mehr lernen müssen.

So schlicht Carsens Interpretation ist, so konzise ist sie durchdacht, mit alleiniger Konzentration auf die Personen, was dem Abend Spannung verleiht. Ein großer Abend.

Leo Hussain und die fabelhaften Wiener Symphoniker spielen zum Glück die reduzierte Orchesterfassung von Eberhard Kloke, die bereits das Theater an der Wien in den Zwischenspielen bildlich bis auf die Fundamente erschüttern lässt. In den 15 Szenen hingegen geht es Hussain darum, eine optimale Koordination zwischen Bühne und Graben herzustellen. Das gelingt ihm, denn der Sprechgesang der Protagonistinnen und Protagonisten ist in jedem Moment bestens verständlich. Hussain und die Symphoniker setzen auf die Kontraste in Bergs Partitur, indem sie gleichgewichtig die spätromantische Verankerung seiner Musik herausarbeiten und den Aufbruch ins Atonale als einzige musikalisch mögliche Sprache für die zu gefühllosen, rohen Bestien gewordenen Menschen zu Gehör bringen.

Auf dem Niveau hält auch die Besetzung mehrheitlich mit: Florian Boesch bringt stimmlich das dramatische Potenzial für den Wozzeck mit. Ob man seinen Wozzeck bedauert oder mit ihm mitfühlt – ob man überhaupt mit irgendeiner Person in dieser Produktion mitfühlt außer den Kindern – ist eine andere Frage. Wenn er den Entschluss fasst, Marie zu töten und damit auch er innerlich verroht, macht sein böse funkelnder Blick Angst und Bange. Lise Lindstrom überzeugt zwar als Darstellerin, in der dramatischen Höhe wirkt sie hingegen zu steif. John Daszak gibt nach dem Tambourmajor in Salzburg einen das System vertretenden Hauptmann, Stefan Cerny den zu wenig besessenen (Militär-)Doktor. Aleš Briscein ist ein Tambourmajor mit heldischer Kraft, Benjamin Hulett ein etwas unscheinbarer Andres. Juliette Mars ist schließlich eine verdorbene Margret.

Weitere Vorstellungen am 17., 19., 21., 23. und 27. Oktober. Begleitend zur Aufführung hat Daniel Ender eine kleine Ausstellung „Alban Bergs Wozzeck – Opernerfolg der Moderne“ im Theatermuseum des Theaters an der Wien kuratiert. Die Ausstellung ist vor den Aufführungen zugänglich. – www.theater-wien.at
Bilder: Theater an der Wien / Werner Kmetitsch

 

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