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Lebensglück, sponsored by Red Bull?

REST DER WELT / GRAZ / PURSUIT OF HAPPINESS

16/10/17 Cowboys (und Cowgirls) sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Zwar sitzen die Fäuste nach wie vor so locker wie die Colts, aber das schaut verdächtig nach leerer Routine aus, so wie das Hin- und Herschubsen des Glases entlang der Theke. In Wirklichkeit hängen diese Leutlein herum im Saloon und bejammern ihre Existenz. „Mein Job als Museumswächter ist absurd, in philosophischem Sinne“, klagt einer.

Von Reinhard Kriechbaum

Also: Sinn muss her. Ein großes Ziel. Der Barkeeper (Bence Mezei) hat eine Vision für die Frustwuchteln. Kunst, Tanzkunst ist gefragt zur Rettung der Welt und des eigenen auf Schmalspurgeleise gezwängten Seelenvehikels. Aufbruch nach Bagdad, zum psychohygienischen Friedensstiften!

Das Thema im steirischen herbst – dem fünfzigsten – war „Where Are We Now?“ In die Standortbestimmung im weitesten Sinn passte die tollkühne Produktion „Pursuit of Happiness“ bestens hinein. Sind wir nicht tief im Inneren davon überzeugt, dass uns die Kunst deutlich näherbringt ans Glück? Gehören nicht die Tänzer, also gerade die wortlosen Körperkünstler, zu den lautesten und von sich überzeugtesten Sprechern für eine bessere Welt? In so manchen Tanz-Festival bekommt man ihren Missionseifer mit Inbrunst vorgeführt.

Und jetzt das. Da kommen Kelly Copper und Pavol Liska, als „Nature Theater of Oklahoma“ professionelle Querdenker nicht nur einer amerikanischen Lebenssicht. Sie taten sich zusammen mit der EnKnapGroup, Sloweniens einziger fester Compagnie für zeitgenössischen Tanz. Das sind sechs Tänzer, die bereit sind, über ihren eigenen Schatten zu springen. Sie machten ein Stück, das darauf hinausläuft, die die Vergeblichkeit allen künstlerischen Tuns – und des tänzerischen besonders – krass auszumalen. Ein Abend, der überquillt vor Selbstironie. Die ist sonst nicht gerade die Stärke der Tanzszene.

Wenn sie mal draußen sind aus der Enge des Saloons, dann werden diese Kämpfer in eigener Glückssache quicklebendig. Das Mittel zum Zweck hat die Buchstaben RB, Red Bull, der potenzielle Zaubertrank „für Nato-Soldaten und einheimische Rebellen“. RB ist eben ein besonderer Saft. Er verleiht zwar nicht so unmittelbar Flügel, wie es die Werbung weltweit suggeriert, schenkt aber Sicherheit. Wo Red Bull-Dosen transportiert oder gestapelt werden, dort schießt man nicht. Aus Selbsterhaltungstrieb. So sieht es für ganz kurze Zeit aus, als ob die Tänzer die verfeindeten Soldaten tatsächlich zum Paartanz verführen können. Die hartgesottenen Kämpfer entdecken sogar ihre gleichgeschlechtliche Liebesfähigkeit. Doch dann: Drohnen kommen zum Einsatz, und die sind nicht von Red Bull gesteuert. Und auf choreographische Kunst sind sie schon gar nicht programmiert. Es folgt ein mörderischer Showdown im Kugelhagel. Totalkapitulation der Kunst. Nichts anderes war zu erwarten.

Trotzdem selten so gelacht über tiefschwarzen Humor. „Pursuit of Happiness“ lebt vom Text, in dem jeder neue Satz den vorangegangenen ad absurdum führt. Das Stück kommt nicht schnell in Fahrt, denn zuerst gilt es ja für die Protagonisten, „den dicken Eintopf der Leere auszulöffeln“. Aber dann gewinnt die Aufführung an Rasanz und (selbst)ironischer Schärfe. Satire pur, Pointe folgt auf Pointe. Man könnte das auch auf Kabarettbühnen präsentieren, aber die sind eher zu klein für so viel Turbulenz.

Das „Nature Theater of Oklahoma“ war beim steirischen herbst auch und vor vor allem in ein anderes Projekt involviert. Kelly Copper und Pavol Liska sind nämlich die Regisseure einer Verfilmung des Romans „Wir Kinder der Toten“ (kommt im Herbst 2018 in die Kinos). In Kapellen, im obersteirischen Mürztal, ist man das angegangen, mit dreihundert Laiendarstellern aus der Region. Warum gerade dort? Elfriede Jelinek ist in der Nähe, im Weiler Krampen, geboren worden. In ihrem Gespensterroman „in der Art der gothic novel“ sind manche Orte wiederzuerkennen. „Die Steiermark hasse ich am allerwenigsten“ hat die Schriftstellerin in einem Interview für den dickleibigen Herbst-Almanach verraten. Nun denn, der steirische herbst hat die Gunst genutzt, am Romanschauplatz aktiv zu werden. Unter anderem gab es ein offenes Lesen, 666 Romanseiten in 144 Stunden... ein wenig Zeit muss man sich schon nehmen für die Jelinek.

Die Bilanz des 50. steirischen herbstes, der am Sonntag (16.11.) zu Ende gegangen ist: An 24 Festivaltagen gab es 137 Projekte und 451 Einzelveranstaltungen. Mehr als 50.000 Besucherinnen und Besucher wurden gezählt, nicht eingerechnet Projekte im öffentlichen und medialen Raum. Es war das zwölfte und letzte Jahr unter Intendanz von Veronica Kaup-Hasler.

Die herbst-Ausstellung „Prometheus Unbound“ in der Neuen Galerie Graz ist noch bis Anfang Dezember zu sehen, die Jubiläumsschau im GrazMuseum („Diese Wildnis hat Kultur. 50 x steirischer herbst“) noch bis 8. Jänner – www.steirischerherbst.at
Bilder: steirischer herbst / Andrej Lamut (2); Ditz Fejer (1)

 

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