Saurier und besessener Fabel-Vogel
STEIRISCHER HERBST / PERFORMANCES
13/10/17 Eigentlich absurd und lachhaft, wenn's nicht wahr wäre: Zu Beginn unseres, des 21. Jahrhunderts, hat die chinesische Regierung die Performance als Kunstform verboten. Aus der durchgeknallten Performance-Welt des Tianzhuo Chen.
Von Reinhard Kriechbaum
Schwer unter solchen Vorzeichen, sich hinein zu fühlen in die Denkwelten eines jungen chinesischen Performancekünstlers unserer Tage. Tianzhuo Chen war in Graz beim steirischen herbst in Graz zu Gast, realisierte hier am Donnerstag (12.10.) im Dom im Berg seine Performance „An Atypical Brain Damage“. Was für ein Spektakel!
Nebelschwaden ziehen durch einen dunklen, unbestuhlten Raum, in dem man als erstes den Performer/Tänzer selbst wahrnimmt: Als eine grell geschminktes Wesen mit Echsen-Schwanzskelett hockt er da, vor einem Polizeiauto. Ist dieser gestikulierende Dino ein Relikt aus Urzeiten? Oder sind wir nach dem Weltuntergang unterwegs und dieses Lebewesen hat die Apokalypse überlebt? Die Augen und die Besucher wandern weiter zu einer Szenerie, in der ein Mann offenbar damit beschäftigt ist, zwei Leichen zu waschen. Ein Hauch vom alten Ägypten? Aber da ist ja noch ein Holzhäuschen, in dem ein viktorianisches Fräulein sich zuerst handarbeitend betätigt und dann zur Waschrumpel wechselt. Das Apple-Symbol auf dem Haus scheint so gar nicht dazu zu passen. Die Dame klagt über Kopfweh klagt und schluckt offenbar Pillen nach Lust, Laune und Farbvorliebe. Aber ihre Krankengeschichte wird gleich mal weggespült von einsetzender Musik, Zigeuner-Straßenmusiker, zu denen ein Dandy als Pantomime eine Geschichte von Leid und Tod erzählt.
Immer wirbeliger und verquerer werden die Ereignisse. Tianzhuo Chen hat das Kostüm gewechselt und wuselt als bellender Köter durchs Publikum. Zwei Freischärler „aus einem kommunistischen Land“ robben mit Gewehren durch den Raum und reden über Politik und Kunst. Stroboskoplichter und Bühnenrauch kommen ebenso exzessiv zum Einsatz wie harte Rockmusik (Dis Fig). Was gäbe es da nicht alles zu beschreiben zwischen Travestie, Sex and Crime! Eine trotz Halbdunkel überaus grelle Bilderfolge. Erleben wir da einen Totentanz in Form einer Rockoper oder wird die Postmoderne selbst mit all ihren isolierten Zeitbildern und Stilverschnitten zu Grabe getragen? Manche sexuelle Handlung (Tianzhuo Chen treibt's unterdessen als exotisches Vogelwesen mit Bastflügeln) dürften in China Anstoß erregen, hierzulande nimmt man so etwas eben zur Kenntnis.
Mit einigem guten Willen könnte man aus Tianzhuo Chens höchst aufwändig und technisch perfekt gemachter Performance auch Kritik an unserer Wirtschaftgläubigkeit herauslesen (oder hinein interpretieren). Vermutlich ist man besser beraten, nicht zu viel zu Deutlen, sondern erst mal die Bilder- und Soundflut auf sich einwirken, einprasseln zu lassen. Jedenfalls – so nachzulesen im herbst-Begleitbuch – ist dieser Performancer einer jener, die in China wacker subversiv gegen die Pression des Staates ankämpfen. Die Technik – Kommunikation und Verbreitung mittels Internet und Apps – ist ihnen dabei unverzichtbares Hilfsmittel.
Sprung ins Analoge: Das Künstlerkollektiv Berlin aus Belgien war in Tschnobyl, genauer im evakuierten Dorf Zwizdal. Dort harren nur noch zwei Bewohner aus, Nadia und Pétro, beide weit über achtzig. Sie wollten partout nicht weg, und, wie sie jetzt sagen: Alle ehemaligen Nachbarn, die ausgesiedelt wurden, sind schon tot, „wir leben noch“. Die in Graz gezeigte Produktion „Zvizdal“ ist eine eigentümliche Mischung aus Dokumentarfilm und Modellbau-Theater. Den Bauernhof – eine gar jämmerliche Keusche – haben die Künstler drei Mal nachgebaut, in verschiedenen Jahreszeiten. Da wird live hinein gefilmt und die Modelle bieten ein paar Überraschungen. Auf der Leinwand sieht man das Ineinanderfließen einer realen Film-Doku mit einer kunst-generierten Miniaturwelt. Da darf man über Heimat, Glück und Unglück, auch über Altersstarrsinn nachdenken. Was die beiden Alten so sagen, berührt und hat manchmal Lebensweisheit.