„Ich hege das Wachstum“
IM INTERVIEW / WOLFGANG RIHM
06/07/15 Salopp gesagt, gehört der Komponist Wolfgang Rihm zu den „Dauerbrennern“ unter den zeitgenössischen Komponisten im Programm der Salzburger Festspiele. „Eine Art Gärtner, Geburtshelfer, Diener“ sei er bei der langen Genese seiner Werke und Stoffe, sagt der Komponist im Interview.
Eine beeindruckende Aufführungsstatistik: 1982 wurde von den Festspielen erstmals eine Konzert-Uraufführung in Auftrag gegeben. In insgesamt 11 Festspielsaisonen war Musik von Wolfgang Rihm zu hören, in mehr als 35 Konzertprogrammen. 2010 wurde in Salzburg die Oper „Dionysos“ uraufgeführt. Heuer im Sommer also folgt „Die Eroberung von Mexico“.
Sie sind einer der meistgespielten zeitgenössischen Komponisten. Was ist für Sie Erfolg im Allgemeinen?
Wolfgang Rihm: Etwas sehr Spezielles, besser: etwas Relatives. Schließlich nimmt jeder etwas Anderes wahr. Ungeteilte Zustimmung oder Ablehnung ist etwas sehr Kurzfristiges. Als schöpferischer Mensch erträgt man das Auf-und-Ab, weil man in tätiger Bewegung ist. Aus allem, was meinen Werken widerfährt, ziehe ich Kraft in nächste, übernächste, zukünftige Projekte. Und es ist faszinierend zu beobachten, wie sich die Wahrnehmung der Hörer ändert. Das, was gestern noch „vernichtet“ wurde, wird morgen adoriert. Beides ist natürlich relativ. Vorausgesetzt, man ist keine saisonale Mode-Figur, die mit einer speziellen Richtung identifiziert wird. Trotzdem gilt auf der menschlichen Seite: Ablehnung schwächt, Zustimmung stärkt. Warum sollte das bei mir anders sein?
Das Libretto des Musik-Theaters „Die Eroberung von Mexico“ basiert auf vier Quellen, darunter Antonin Artauds gleichnamiger Theaterentwurf, das Gedicht "Der Urgrund des Menschen" des Mexikaners Octavio Paz und aztekische Lyrik. Die Themen Eroberung und Unterwerfung sind augenscheinlich. Wie haben die 23 Jahre, die seit der UA vergangen sind, den Blick auf das Werk verändert? Das kulturell Fremde und die Durchdringung von Kulturen scheinen ja als Themen und Brennpunkte unserer Zeit aktueller denn je. Stichwort: Clash of Civilisations.
Wolfgang Rihm: Manchmal wachsen Stoffen Bedeutungen zu, werden Bedeutungsfelder gestärkt durch verschärften Kontext. Die Interpretationen werden darauf reagieren, selbst unabsichtlich wird das so sein. Und da Musiktheater immer in wandelnder Gestalt erscheint – also nicht, wie etwa der Film, immer in gleicher Gestalt – wird stets die jeweilige Gegenwart in die Interpretationen und Sichtweisen hineinspielen.
Dem Schaffensprozess der „Eroberung von Mexico“ ging eine lange Zeit der Reflexion voraus. Sind Ihnen diese Zeit und das Ringen mit dem Stoff noch präsent?
Wolfgang Rihm: Bei mir hat jede Arbeit ungemein lange Vorläufe. Selbst kleine Klavierstücke können sich durch Jahre hin andeuten, bevor sie dann – scheinbar rasch – entstehen als Text. Da meine Schaffensweise einem konzeptuellen Myzel ähnelt, findet sich „unter“ den Fruchtständen, also: den Werken, ein unentwirrbares Geflecht von Zuflüssen, Nervenbahnen, Leitungen, Nähr-Strömen... Wie soll man das nennen? Es dauert und zeigt sich. Und ich hege das Wachstum. Eine Art „Gärtner“? Geburtshelfer? Diener?
Die Salzburger Festspiele durchziehen 2015 als Generalthema die Gegensatzpaare von Herrschen und Dienen, Macht und Ohnmacht, Unterdrückung und Aufbegehren - sehr Mozart'sche Gegensatzpaare übrigens. Finden Sie auch in Ihrem musikdramatischen Schaffen ein Echo?
Wolfgang Rihm: O ja, sehr – und nicht nur im Bühnen-Schaffen. In allen Dimensionen empfinde (und erfinde) ich Musik als etwas, das aus polaren Anlagen entsteht, aus Gegen-Spannungen, aus Sender-Empfänger-Situationen. Jeder melodische Schritt ist ein Zwischen-Wesen: Zwischen zwei Pole ausgespannt, entfaltet. Musik – die in sich dialogische Kunst. Geben und Nehmen, Strömen und Ruhen – polare Spannungen. Ich habe das Gefühl, ich rede hier über Mozart.
Welchen Bezug haben Sie zu Mozart? Ihr Violinkonzert "Lichtes Spiel" – 2014 bei den Festspielen unter Kavakos aufgeführt – scheint in seiner Mozart-Besetzung nicht unbeeinflusst von Mozart'schen Gesten und Kontrastwirkungen.
Wolfgang Rihm: Eben. Mozart ist der Komponist, der am meisten aus Kontrast-Spannungen heraus arbeitet. Das wurde ihm ja auch prompt vorgeworfen. Denken Sie an Hans Georg Nägelis Einwände – der „Geniefehler durch Contraste zu wirken“... aber darüber habe ich schon oft gesprochen... Nein, zu Mozart habe ich eine ungemein starke Beziehung, und sie wird stärker, je älter ich werde. Wohl weil bei ihm zu erfahren ist: aus Spannungen und Gegensätzen heraus zu formen und trotzdem nicht darin umzukommen als formender Geist. Mozart zieht aus allem Gestalt. Und es scheint alles so naheliegend. Erst wenn wir uns nähern, erfahren wir, dass da nichts sich von selbst versteht – auch wenn es so scheint.
Ist Mozarts scheinbare Mühelosigkeit etwas, das Sie als Kollege auch nach Jahrhunderten noch staunend betrachten?
Wolfgang Rihm: Selbstverständlich. Aber ich verstehe es auch als Voraussetzung seiner Kunst – nicht nur als bestaunenswertes Phänomen an ihrem Entstehen. Mozart komponiert ungemein riskant, er riskiert die Mühelosigkeit, gerade dort, wo sie ihm heilige Mühe bereitet, wo er bis zum Substanzverlust sich selbst ausbeutet. Vielleicht liegt uns das heute musiksprachlich zu fern, um es noch als göttlichen Skandal wahrnehmen zu können. So erleben wir nur eine Art Schmetterling. Dabei sind nirgends die Abgründe tiefer als in seiner Kunst.
Ingo Metzmacher hat 1992 in Hamburg die Uraufführung dirigiert und wird am 26. Juli 2015 die Premiere in Salzburg leiten. Wer ist für Sie Ingo Metzmacher in Ihrem musikalischen Leben?
Wolfgang Rihm: Ein wirklich guter Freund. Ein eigensinniger auch. Er kann mich „lesen“.
Die Felsenreitschule wurde als Spielstätte ausgewählt.
Wolfgang Rihm: Ein wirklich wunderbarer Ort, dem eine gewisse kultische Dimension eingeschrieben scheint. Die spürbare Anwesenheit der Tiere, der Pferde, im Umfeld, nicht nur olfaktorisch, ein animalischer Bezugsreiz. Und diese in den Stein hineingerissene Architektur – scheint sie nicht nach Menschenopfern zu schreien? Nein, nein – das meine ich nicht nur ironisch... ich bin sehr gespannt auf diese neue Realisation und lasse mich gerne – wie eigentlich immer bei Neuproduktionen – überraschen. Denn stets kommt etwas zutage, von dessen Verwobenheit im Werk ich noch nichts wusste – allenfalls etwas ahnte.
Peter Konwitschny übernimmt die Regie. Welche Ästhetik verbindet Sie?
Wolfgang Rihm: Ich glaube, er hat noch nie etwas von mir auf der Bühne realisiert. Sein tiefer Blick in die Texte und Partituren ist berühmt und ich freue mich auf seine sorgfältige Kraft. (PSF)