Und als Zugabe eine frische Tragödie!
FESTSPIELE / GERHAHER / HUBER
02/08/23 Zum Glück hat Robert Schumann keine Lieder geschrieben, als er – wie ja eigentlich meistens – so richtig verzweifelt war. Neben Notarzt, Polizei und Feuerwehr müssten dann auch Seelsorger, Psychologen und Psychiater Konzertdienst tun. Christian Gerhahers Liedkunst geht ans Eingemachte.
Von Heidemarie Klabacher
Graue Romantik in tausend Facetten beschworen der Bariton Christian Gerhaher, der profilierteste Liedsänger dieser Tage, und sein kongenialer Klavierpartner Gerold Huber mit einem reinen Schumann-Programm. Aus dem „Liederjahr“ 1840, in dem Roberts Ehe mit Clara endlich erfolgreich erstritten worden war und 138 Lieder entstanden, sowie aus dem Schwellenjahr 1849/50, nach dem der psychische Niedergang des Komponisten unwiderruflich beginnen sollte.
Seine „großen“ Liederzyklen, auch der Liederkreis op. 39, werden selbstverständlich in Gesamt-Aufführungen auf das Podium gebracht. Weniger selbstverständlich sei dies bei vielen „Kleinzyklen“, für deren geschlossene Wiedergabe Gerhaher/Huber plädieren, „gerade bei jenen Gruppen, deren Zusammenstellung zunächst disparat wirkt“. Die Fünf Lieder op. 40 (vier von ihnen auf Texte von Hans Christian Andersen übertragen von Adalbert von Chamisso) sind so ein Kleinzyklus. Märzveilchen, samt Jüngling und blauem Augenpaar gehen gleich zum Auftakt in eisgrauer Leere zu Grunde. Die Raben vor dem Kinderzimmerfenster machen mit dem Muttertraum kurzen Prozess: „Dein Engel, dein Engel wird unser sein.“
Schlimm genug diese leise Unausweichlichkeit. Das Herz zerreißt es dann nicht nur dem Soldaten, der ins Erschießungspeloton kommandiert und als einziger Schütze den verurteilten Freund ins Herz treffen wird: Da nimmt Schumann Mahler vorweg, und Gerhaher erlaubt sich einen ersten auch durch gesteigerte Lautstärke expressiven Moment. Das letzte Lied, Verratene Liebe (ein Gedichte des Franzosen Claude Fauriel von Chamisso frei übersetzt) fordert dagegen weder Sterben noch Verderben, sondern einfach den guten Ruf von zweien, die sich haben erwischen lassen. Da lässt Heine grüßen.
Mit dem Liederkreis nach Gedichten von Joseph von Eichendorff op. 39 ist man, aufgrund der märchenhaften Disposition der meisten Texte, die Seeleruhe betreffend eher auf der sicheren Seite. Auch wenn Bräute sterben, Hochzeitszüge schauerlich und Freunde treulos sind. Das „Schwarze“ ist bei Eichendorf ja doch immer licht-durchwoben, eine Romantik, wie man sie sich so vorstellt – sei es Im Walde, Im Zwielicht oder In der Stille. Der strahlende Klang von Gerhaher/Huber leuchtet freilich auch diese Nummern taghell aus und lässt etwa in der betörenden Mondnacht die Konjunktive hervortreten, „als flöge sie nach Haus“.
Die Drei Gesänge op. 83 heißen Resignation, Die Blume der Ergebung und Der Einsiedler. Die Deklamationskunst von Christian Gerhaher, seine stupende Textdeutlichkeit, seine virtuose Technik, machen auch bei tatsächlich unbekannten oder unbekannteren Nummern jeden Blick auf die Texte im Programmheft entbehrlich. Der Facettenreichtum der Jahrhundert-Liedstimme, mit-getragen vom delikaten Klavierpart, verleiht besagter Resignation Farbe und Glanz.
Ganz und gar ungefährdet, fast ein wenig naiv hymnisch erklingt Blondels Lied, die erste der Romanzen und Balladen III op. 53. Da wendet Gerhaher erstaunlich einheitliche, wenn auch strahlende Klangfarben an. Sein Interesse gilt den Graustufen. Wie etwa in den drei Liedern des Armen Peter, einem Mini-Zyklus im Kleinuyklus, dessen Protagonist Gerhaher/Huber ein geradezu gruseliges Epitaph setzen. Auf Sechs Gedichte nach Nikolaus Lenau und Requiem op. 90 ließen Gerhaher/Huber die Tragödie op. 64/3 folgen, und entließen das jubelnde Publikum mit der sicheren Erkenntnis Tief im Herzen trag' ich Pein. Aber nur, weil ein Sänger nicht unbegrenzt Lieder vorsingen kann.
Bilder: SF / Marco Borrelli