Alles paletti im Paradies?
FESTSPIELE / SAVALL / DIE SCHÖPFUNG
27/07/23 Pulsierende Energiebänder. Psychedlische Farben. Blitze zucken. Galaktische Nebel wallen. Schwarze Vielfarbigkeit rührt an innerste Ängste... Die Apokalyptiker des Breitwandkinos in Hollywood brauchen dafür zwei Stunden. Joseph Haydn und Jordi Savall in der Felsenreitschule zwei Minuten.
Von Heidemarie Klabacher
Walfische und Gewürm werfen ihr Gewicht in die Waagschale. Vögel zeichnen delikate Schnörkel in den Himmel. Das holde Paar ist auch schon da und geht seinem Schöpfer nach Kräften um den Bart. Alles Paletti im Paradies.
Jordi Savall und seine Ensembles La Capella Nacional de Catalunya und Le Concert des Nations spielen Haydns Schöpfung – „und eine neue Welt“ entspringt diesmal nicht Gottes Wort, sondern des Dirigenten Stab. Die Vorstellung des Chaos zu Beginn des Oratoriums von 1798 ist ohnehin revolutionäre Klangmalerei, den Spektralisten des 20. und 21. Jahrhunderts zum Neid. Jordi Savall und die Seinen entführen innert Sekunden aus dem Konzert- in den Kinosaal. Vorspann zu einem Roland Emmerich, in dem die Welt zu Beginn des Films am Ende ist. In sich ruhende, zugleich beunruhigend pulsierende Energiebänder, in denen es blitzt und zuckt. Galaktische Nebel, deren schwarze Vielfarbigkeit innerste Ängste aufrührt...
Diese zwei Minuten wären allein schon als vollgültiges Konzerterlebnis durchgegangen. Die Schöpfung Hob. XXI:2 ging freilich nach Gottes und Joseph Haydns Gesamtplan über die Bühne. Überstrahlt von unzähligen plastischen Details, die wie beiläufig aus dem Orchesterpart heraus dröhnten (Subkontrafagott) oder trillerten (Traversflöte) oder perlten (Hammerklavier) und ebenso geschmeidig wieder im Kollektiv aufgingen. Einzelne Nummern, die man lieblicher oder getragener gewohnt ist, nimmt Jordi Savall recht flott. Etwa Gabriels Arie Nun beut die Flur, Uriels Rezitativ von der Erschaffung des Menschen oder das Lobpreis-Duett von Adam und Eva im dritten Teil. Umso faszinierender mitzuerleben, wie Jordi Savall das Tempo immer wieder anzieht, ohne unorganisch oder hektisch zu werden. Geradezu virtuos das Drehen am Power- und Tempo-Knopf in den lobpreisenden Chören.
Der Kammerchor La Capella Nacional de Catalunya ist stupend. Im Klang. In der Präsenz intensiv im Pianissimo und delikat im Fortissimo (bei jeweils „nur“ fünf Personen pro Stimmlage). In der Durchhörbarkeit. Und in der Textbehandlung und Textverständlichkeit.
Da kamen die Vokalsolisten nicht ganz heran. Die viel zu kurzen Vokale der Sopranistin Giulia Bolcato als Gabriel machten aus dem vielen „Lob“ lauter nervige „lopps“: Davon konnte auch der strahlende, geschmeidig und wendig in die Koloraturen geführte Stimmklang nicht ablenken. Das gilt auch für den eleganten Tenor von Mingjie Lei als Uriel. Die Sopranistin Flore van Meerssche als (ja ja, eh schon wissen) „willige und gefügige“ Eva sang die textlichen Zumutungen mit technischer Souveränität und klanglicher Grandezza. Ebenso souverän, bei hellem Sound auch in der Tiefe, Matthias Winckhler als Raphael und Adam. Die Vokalensembles, wo die Textverständlichkeit des einzelnen naturgemäß ein wenig zurücktritt, waren voll Pracht und Glanz.
Alles Paletti im Paradies? „Nicht mehr zu wünschen, als ihr habt, nicht mehr zu wissen als ihr sollt“, mahnt der Engel im Finale Adam und Eva. Die Mahnung hat nix genutzt. Heute und draußen vor der Tür brennt diese Erde. Haydns Schöpfung ist eine hochpolitische und brandaktuelle Anklage.
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Bilder: SF / Marco Borrelli