Stimmkunst statt Shitstorm
MOZART-MATINEE / BOLTON
08/08/21 Die Mozart-Matinee des Mozarteumorchesters unter Ivor Bolton begeisterte mit erlesenem Bläserquartett und Sabine Devieilhe als Koloratur-Virtuosin.
Von Erhard Petzel
Ein besonderer Leckerbissen erlesener Ensemblekultur ist die Sinfonia concertante Es-Dur. Sie besticht nicht nur mit einem bezaubernden Wechselspiel von Tutti und Solo, seine besonders aparte Note entfaltet dieses Werk im feinstrukturierten Zusammenwirken der vier Blasinstrumente und ihrer klanglichen Spezifika. Dabei reizt Mozart die spieltechnische Meisterschaft weidlich aus, standen ihm bei der Aufführung in Paris böhmische Spitzenbläser des Mannheimer Orchesters zur Verfügung. Nicht nur gattungsaffine Paarungen waren das Ergebnis, auch wenn diese dominieren. So verwoben sich natürlich Isabella Unterers Oboe und Ferdinand Steiners Klarinette innig, während der Duktus von virtuosen Bassinstrumenten für Philipp Tutzers Fagott und Rob van der Laars Horn bestimmend ist. Diese Rollen sind jedoch nicht festgeschrieben.
Kann man dem Fagott durchaus Gemeinheiten zumuten, muss auch das Horn bereits kurz vor der Kadenz des ersten Satzes beweisen, dass es als Partner der wendigen Klarinette reüssiert. Die Kadenz dominiert dann freilich die Oboe als Primadonna des Quartetts. Vielfältiges Weben im zweiten Satz zelebriert die Farbpalette der Kombinationen, während der abschließende Gassenhauer als Variationssatz vor Witz der Quartett-Affären im Orchesterrausch glüht. Bei der agogisch ausgebufften Musik wäre es für die Impulsqualität allerdings von Vorteil, wenn Ivor Bolten mehr Präzision statt hemdsärmeliger Grandezza walten ließe. So dürfte die Einsatzsicherheit nicht mit der Anzahl der Körperteile korrelieren, die sich den Musikern als Spielmacher anbiedern. Herrlich hingegen die dynamische Pracht, die hier zwischen den Solisten und zum Orchester entfaltet wird.
Im Zentrum der Veranstaltung am Samstag (7.8.) im Großen Saal des Mozarteums war ein Reigen von Konzert- und Einschub-Arien mit der Koloratursopranistin Sabine Devieilhe, die insofern im inhaltlichen Zusammenhang mit Mozarts Parisreise stehen, als sie der Mannheimer Schwärmerei in Gestalt Aloisia Webers in die Gurgel geschrieben sind. So komponiert er bei der Gelegenheit Alcandro, lo confesso – Non sò d’onde viene KV 294 für die 16-Jährige, eine Arie nach Metastasio-Text in der Da capo-Tradition mit lichten Koloratur-Höhen in der Wiederholung. Popoli di Tessaglia! – Io non chiedo, eterni Dei hätte sich nahtlos in diese Umgebung eingefügt, wurde aber durch die erst Arie der Königin der Nacht ersetzt. Deren Koloraturen zur Umgarnung Taminos kommen lupenrein, doch fordert diese Figur eine gute Portion berechnender Matrone. Devieilhe hingegen blüht auf in der Rolle zarter Opfer.
So gerät Vorrei spiegarvi, o Dio! KV 418 nach der Pause zum Triumph. Diese Einschubarie für eine Anfossi-Oper zeigt eine von widersprüchlichen Gefühlen zerrissene Heldin als Opfer einer Liebesprobe (Cosi winkt aus der Zukunft). Die Solidarität mit dem fix Verbundenen gipfelt im Furioso auf dem dreigestrichenen „e“, wenn sie den sie anmachenden Prüfspion rausschmeißt, während die fingierte Glut das Feuer in ihr entfacht hat. Was heute einen Shitstorm auslöste, war damals Anlass für höchste Stimmkunst. Bevor der innere Zwist durch Abbruch gelöst wird, gibt es wunderbar innige Duette mit der Oboe.
Eine dominante Stellung von Bläsern ist einer der roten Fäden durch die Programmgestaltung. Und so schließt es folgerichtig mit der „Prager“ Symphonie KV 504. Deren D-Dur wird von allem Anfang dramatisch abgründig gebrochen in Schicksalsschlägen, die den ersten Satz als Ouvertüre zu Don Giovanni durchgehen ließen. Melancholisch bilden abgedämpfte Linien Kontraste zu herrischem Auftrumpfen, sodass Höhen und Tiefen der Gefühlspalette aufeinanderprallen. Nach sanftem Schwingen im Mittelsatz poltert der Finalsatz in den Überknaller mit arbeitsteiligem Paarlauf von Flöte und Oboe. Hier schlägt Boltons große Stunde im Sinne des Prologes von Buschs Balduin Bählamm, worin das Orchester als vom Dirigenten gehetzter Klangkörper entlarvt wird. Dass diesem dabei höchste Lust widerfährt, bezeugt ein Blick zum Kontrabass, der bei aller Herausforderung doch nicht die Läufe der Geigen in irrwitzigem Tempo bewältigen muss. Die aber meistern das souverän und alles führt in einen einzigen großen Triumph.
Bilder: SF / Marco Borelli