Dauer-Drehwurm. Sänger-Himmel
FESTSPIELE / POPPEA
13/08/18 Claudio Monteverdis Oper „L’incoronazione di Poppea“ ist schwärzer als alle Alpträume eines Goya, gestörter als jeder „David Lynch“ und schöner, als alles, was „schön“ ist in der Musik. William Christie und „Les Arts Florissants“ in kleinster Besetzung weisen subtil ausgeleuchtete Klangpfade für sängerische Traumleistungen. Regisseur Jan Lauwers trägt dazu bei: hyperaktives Gewusel und einen Dauer-Drehwurm.
Von Heidemarie Klabacher
Die machtgierige Kurtisane und der schwer gestörte Kaiser. Sie singen die schönsten Liebes-Duette der Operngeschichte und gehen über Leichen. Ehefrau? Ratgeber? „Kopf ab mit ihnen!“ Fast ebenso unmoralisch sind freilich Neros betrogene Gattin, Poppeas „Ex“ und dessen „Neue“. Wie solche von Grund auf gestörten, zerstörten und zerstörenden Naturen so „schöne“ Melodien singen, einander in so überwältigenden Duetten das voneinander Betört-Sein (nicht die ewige Liebe) versichern können… Man wird nie fertig werden mit der Frage, warum ausgerechnet das perverseste Paar der Operngeschichte von seinem Komponisten solche Musik bekommen hat. Überwältigend die Spannung, die allein aus diesem Widerspruch resultiert.
Wie freimütig Monteverdi jeden schmachtenden Seufzer, jedes Stöhnen, jedes sexuelle Aufbäumen in sprechende Klänge setzt! So beredt anschaulich wie in der Lesart von William Christie und „Les Arts Florissants“ ist das nicht immer. Was war das vorigen Festspielsommer doch für ein „Monteverdi-Zyklus“ mit John Eliot Gardiner, „nur“ halbszenisch und unvergessen bis heute, aber geradezu „unschuldig“, angesichts der Unverblümtheiten, die William Christie und „Les Arts Florissants“ mit äußerster Delikatesse in jeder noch so kleinen Phrase und überwältigender Klangsinnlichkeit in jeder Melodie zu Tage fördern. In aller Öffentlichkeit…
Die Sängerinnen Sonya Yoncheva als Poppea und Kate Lindsey als Nerone haben sich meisterlicher darstellerischer Ausdruckskraft und überwältigender stimmlicher Souveränität auf diese rückhaltslose Radikalität eingelassen. Nur zeitgenössische Komponisten verlangen von Vokalisten solche Grenzgänge zwischen Klang und Atemgeräusch, wie es hier organisch selbstverständlich der Monteverdi’schen Partitur zu entströmt. Das gilt nicht nur für die Liebes-Ekstasen von Poppea und Nerone, sondern auch, freilich etwas zivilisierter, für die Liebesübereinkünfte, mit denen Carlo Vistoli und Ana Quintans als Ottone und Dusilla begeistern. Die Qualen des Philosophen Seneca, den Nerone wegen seiner unerwünschten Moralpredigten zum Selbstmord zwingt, macht der Bassist Renato Dolcini ebenso radikal hörbar. Wenn Stéphanie d’Oustrac als Kaiserin Ottavia verzweifelt in die Verbannung geht, klingt das - wiederum - ebenso schön, wie radikal.
Da sind also – in einer singulären Interpretation dank Sängerinnen und Sängern, die beinah bis in ihr eigenes Inneres blicken lassen – Blut, Schweiß und Tränen, Hoffnung, Verzweiflung und Tod in plastischen überreichen Farben Musik und Klang und Wirklichkeit geworden. Und was fällt dem Regisseur dazu ein? Das in der Musik ohnehin Ausgedrückte in plakativer Verdoppelung mit nur wenig dramaturgischem oder sonstige „Mehrwert“ noch einmal auf die Bühne zu bringen. Eine Schar dünner junger Tänzerinnen und Tänzer, beflissen und engagiert wie die Leistungsgruppe 1 einer wohldotieren Privatschule, ist aufgeboten, sich in Orgien-Mysterien-Theater zu versuchen. Und zwar immer und die ganze Zeit ohne Unterlass.
Nur wenn Kaiserin Ottavia auftritt, zieht sich die wilde Jagd für Momente zurück. Dafür kommt ein riesiger Luster, eine gewaltige Zusammenballung zahlloser Kristall-Luster, vom Schnürboden herunter. Der wird nur behutsam gedreht. Das sind wohltuende Momente, in denen sich auch die grundsätzlichen Qualitäten des Ansatzes von Jan Lauwers offenbaren.
Einer der szenischen Höhepunkte: Poppea wird von ihrer Amme Arnalta (stimmlich wie darstellerisch grandios: Dominique Visse) in den Schlaf gesungen. Zuvor wurde aus den jugendlichen Körpern eine „Laube“ geschaffen, ein „Lebendes Bild“, in dessen Zentrum Sonya Yoncheva von den beiden Solotänzer sanft gestützt als unschuldige Poppea schlummert. Wie die Idylle von Ottone, den die Kaiserin als Mörder gedungen hat, gesprengt wird, hat maximale Explosionskraft.
Auch die Personenführung zwischendurch zeigt erhellende Momente, etwa die Blicke Poppeas, wenn Nerone wieder einmal einen der zahlreichen Jünglingen auf der Szene zu missbrauchen beliebt: Sie behält die Nerven, es geht ihr um die Macht als künftige Kaiserin, nicht um Liebe. Die kluge Intrigantin zeigt sich erst recht bei ihrem finalen Triumph: Demütig dankt sie dem Psychopathen für ihre Erhöhung. Und diese Poppea weiß genau, dass es sich um einen Psychopathen handelt. Schade, dass im Dauergewimmel und Gewusel die Szene sich permanent selber im Wege ist, und die vielen Feinheiten der Regie überdeckt.
Im Zentrum der ansteigenden Bühne – der Bodenbelag zeigt Leichen aus Bildwerken der Kunstgeschichte – ist eine kleine ebene Fläche. Auf der dreht sich dreieinhalb Stunden lang ununterbrochen ein Tänzer oder eine Tänzerin um sich selbst. Das nervt spätestens nach der ersten dreiviertel Stunde, zumal sich kein Grund für dieses Unruhezentrum abzeichnen will. Gegen Ende der Oper – das Turteln des monströsen Liebes- und Mörderpaares wird immer noch schmelzender, die Interpretation von William Christie und Les Arts Florissants wird immer noch delikater in den Verzierungen, noch betörender in jedem einzelnen Lautenschlag – versucht man verzweifelt, den Unruhe-Herd mit dem Programmbuch abzudecken. Aber das geht nicht. Man würde auch abdecken: Kate Lindsey und Sonya Yoncheva. Nerone und Poppea. Mann und Frau.
Bilder: Salzburger Festspiele / Maarten Vanden Abeele