Langnase im Reich der Zwerginnen
LANDESTHEATER / CYRANO DE BERGERAC
25/11/19 Die Theorie wird von der Literaturwissenschaft tatsächlich diskutiert: Mag sein, dass der Barockpoet Cyrano der Bergerac schwul war. Ein hinlänglicher Grund, im Mantel-und-Degen-Klassiker von Edmont Rostand Gender-Kapriolen zu schlagen?
Von Reinhard Kriechbaum
Da stürmt, nachdem sich ein paar Darstellerinnen aus ihren Nonnenkutten geschält haben, eine Schar Mädchen auf die Bühne. Die Gascogner Kadetten, Cyranos Gefolge aus eleganten, gewandten Degenschwingern, ist im Salzburger Landestheater zu einer hysterisch kreischenden Schar von weiblichen Halbwüchsigen mutiert. Eher zarte Maidlein, die sich ziemlich talentbefreit mit Männergehabe abmühen. Christoph Wieschke als Cyrano überragt die meisten der Damen auf der Bühne um anderthalb Köpfe, und er wiegt ung'schauter das Doppelte. Unweigerlich fällt einem Gulliver im Reich der Zwerge ein.
Die aufgeklebte Nase ist in dieser Umgebung eigenartiger Liliput-Frauen jedenfalls nicht Cyranos vordringliches kosmetisches Problem. Bald hört man auf, darüber zu sinnieren, was Carl Philip von Maldeghem als Regisseur mit dieser Besetzungsstrategie eigentlich erreichen will. Es sind ja auch die unmittelbaren Konkurrenten um die Gunst der angebeteten Roxane, Christian und der Graf de Guiche, weiblich besetzt. Auch sie sind rechte Ritter von der traurigen Gestalt, wirken mickrig gegenüber dem Mannsbild Cyrano. Gerade das ist unmittelbar kontraproduktiv zum Stück: Der talentierte Verseschmieder und Briefeschreiber ist ja der Prototyp eines bemitleidenswert selbstunsicheren Menschen. In Wirklichkeit wäre er so normal wie alle anderen um ihn herum. Dass er mangelndes Selbstbewusstsein, hinter der Nase versteckt – das kann man eigentlich nicht zeigen, wenn die Schar aller anderen Männer zur sinnlos gegenderten Karikatur verkommen ist.
Schade, denn vom Typ her bringt Christoph Wieschke für die Hauptrolle beste Eigenschaften mit. Facettenreich zeichnet er den verunsicherten Liebhaber, der sich einfach zu wenig zutraut, der sich allzu bereitwillig zum Handlanger des Konkurrenten Christian machen lässt. Aber genau diese Rollengestaltung verpufft hoffnungslos am inferioren Umfeld. Auch Tina Eberhardt als Roxane steht mangels Gegenspielern auf verlorenem Posten.
Nikola Rudle, von Natur aus ein eher herber Typ, tut sich in der Rolle des Christian etwas leichter mit dem aufgezwungenen virilen Gehabe als die anderen. Warum sind eigentlich Gagueneau (Walter Sachers) und Montfleury (Stefan Janauschek) der allgemeinen Geschlechtsumwandlung entgangen? Der Gender-Unfug in dieser Inszenierung, die sich reichlich mühsam von Szene zu Szene schleppt, will sich einfach nicht erschließen. Das Handwerkliche ist eine eigene Crux der Aufführung, sprechtechnisch wäre noch viel Luft nach oben. Geradezu stimmungsmordend ist das an Einfallslosigkeit schwer zu überbietende Nicht-Bühnenbild von Karin Rosemann.