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Wenn ich überlebe, werde ich hoffen

REST DER WELT / LINZ / MEIN KÜHLRAUM

06/12/15 „Arbeit ist heutzutage ein Privileg. Ein Privileg will verdient sein. Das ist Demokratie.“ So denkt Blocq, der Chef, der von allen als der große Brutalo wahrgenommen wird. „Es sind die Ideen in seinem Kopf, die schlecht sind, nicht er.“ So tickt Estelle, die weibliche Hauptfigur in Joël Pommerats Schauspiel „Mein Kühlraum“.

Von Reinhard Kriechbaum

Estelle träumt noch beim Putzen des WC von den Sternen und zaudert nicht eine Sekunde, wenn sie irgendjemandem Gutes tun zu können glaubt. Aber: Ist diese Gutmenschin aus fanatischer Leidenschaft wömöglich der allerärgste aller vorstellbaren Gesinnungstyrannen? Mit dieser Ambivalenz spielt Joël Pommerat, wie überhaupt er in seinem Stück „Mein Kühlraum“, das in Linz seine österreichische Erstaufführung erlebt, eine Menschengruppe aufstellt, die man charakterlich nicht so leicht zuordnet. Es ist die Belegschaft eines Supermarkts. Der Chef hat erfahren, dass er totkrank ist und überschreibt all sein Hab und Gut jenen Leuten, die ihn bisher so sehr gefürchtet haben. Einzige Bedingung: An einem Tag im Jahr sollen sie sich künftig seiner erinnern. Estelle hat die gloriose Idee: ein Theaterstück dem Alten zu Ehren zu spielen.

Ein völlig verqueres Unterfangen,wie sich herausstellt. Die Neo-Besitzer des eigentümlichen Firmenkonglomerats – neben dem Supermarkt ein Schlachthof, ein Zementwerk und ein Bordell – sind von der ersten Minute an heillos überfordert. Sie, die immer bangen mussten um ihre kärgliche Existenz, sind plötzlich konfrontiert mit Marktmechanismen. Sie, die nur zu gut wissen, wie sich Angst vor Arbeitsplatzverlust anfühlt, müssen plötzlich marode Firmen „abwickeln“. Und sich dann noch konfrontieren lassen mit Estelles Rabiat-Positivismus und ihren kruden Träumen von Theater, einer ihnen nicht minder fremden Welt.

Das Linzer Landestheater hat in der „Arena“, dem zur rundum-sichtigen Spielstätte umgebauten alten Theater, einen geradezu idealen Spielort. Da kann sich keine Figur verstecken. Nichts als ein dekorationsloses Spiel-Quadrat gewährt die Ausstatterin Alexandra Pitz. An jeder der Ecken steht ein überdimensionaler Spot. Jede Seelenregung, jedes Sich-selbst-Belügen der Figuren in oft nur Sekunden dauernden Szenen wird unmittelbar ins Licht gestellt.

Das direkte Ausleuchten muss kein Widerspruch sein zur spielerisch-flockigen Art, wie der französische Theatermagier Joël Pommerat das Urkomische hinter der gewaltigen Tragödie, die offenen Höllenschlünde hinter dem Alltäglichsten schildert. Gerade die Unmittelbarkeit macht sichtbar, was für dankbares Schauspieler-Theater Pommerat offeriert.

Ein feines Grüppchen hat Regisseur Gerhard Willert in Linz beisammen, allen voran die wunderbar dünnhäutig wirkende Anna Eger als Estelle. Die Zerbrechliche mutiert zur charakterstarken Denk-Diktatorin, zur unverstandenen Poesie-Einpeitscherin, an der alles „Normale“ abprallt. Katharina Hofmann (Claudie) ist die Erzählerin, die vom Bühnenrand aus unprätentiös von Szene zu Szene geleitet und dann einsteigt ins Grüppchen von Estelles Arbeitskolleginnen und -kollegen. Da ist der Metzger Alain (Lutz Zeidler), der beinah weltmännisch umsteigt in die neue Welt des Besitzens. Metzgermeister Jean-Pierre (Thomas Kasten) mutiert darob zum Fatalisten. Schrullige Typen sind der stotternde Lagerist Bertrand (Aurel von Arx) oder sein unverständlich brabbelnder Kollege Chi (Thomas Bammer), dessen Wortmeldungen ausschließlich die mit Empathie-Überschuss gesegnete Estelle deuten kann. Die Kassierin Nathalie (Bettina Buchholz) gäbe in jedem wirtschaftlichen System eine engagierte Betriebsrätin ab, und eine Hypervernünftige wie Hauptbuchhalterin Adeline findet sich sowieso in jeder Firma. Aber all diese Eigenschaften sind gebrochen, jede Figur bekommt kleinere und größere Brüche, Charakterquetschungen, Denk-Torsionen.

Und dann noch Blocq, der eigentliche Herr über Mensch und Supermarkt: Vasilij Sotke im grauen Anzug, ein scheinbar kalter Despot. Dann, im Krankenbett, schaut er plötzlich „ins Innere meiner Gedanken“, worauf Estelle schlagfertig kontert: „Gibt's das überhaupt?“

Joël Pommerat hat seine tiefgründige Farce vom Zerbrechen menschlicher Arbeitswelt und privaten Unternehmertums im Neoliberalismus unmittelbar an Menschen festgemacht. Das ist die Stärke von „Mein Kühlraum“. Estelles Nachbar (Christian Manuel Oliveira) hat nur wenige Sätze, aber zuletzt den vielleicht idiomatischsten: „Wenn ich überlebe, werde ich hoffen.“ Irgendwie tun das alle.

Weitere Aufführungen bis 22. Jänner – www.landestheater-linz.at
Bilder: Landestheater Linz / Patrick Pfeiffer

 

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