Eine Grenzerfahrung
KLAGENFURT / GEORG FRIEDRICH HAAS / KOMA
29/04/19 Die Dunkelheit ist absolut. Nicht einmal ein Notlicht stört die Finsternis. Diese Dunkelheit ist die Welt der Michaela, die nach einem Schwimmunfall ins Wachkoma gefallen ist. Umgeben von Angehörigen, Ärzten und Pflegepersonal liegt sie im Krankenbett. Ein harter, unbequemer Stoff. Eine Grenzerfahrung im Stadttheater Klagenfurt.
Von Helmut Christian Mayer
Ihre Geschichte wird in der Oper Koma aus ihrer Sicht erzählt, das Libretto stammt von Händel Klaus, die Musik von Georg Friedrich Haas (Die erfolgreiche Uraufführung fand 2016 in Schwetzingen statt, für Klagenfurt erstellte der Komponist nun eine definitive Fassung, in der auch das Krankenhauspersonal nicht mehr spricht, sondern auch singt). Für beide ist es die dritte gemeinsam Oper, für den österreichischen, in Graz geborenen Komponisten schon die insgesamt achte aber das wahrscheinlich stärkste Werk.
Die absolut dunklen Phasen der nahezu zwei Stunden dauernden Oper erstrecken bis zu 12 Minuten und sind genau vorgeschrieben. Daneben gibt es sogenannte Schattenrisse oder normales Bühnenlicht. Dann kann man ein nüchternes, graues, teils verkacheltes Krankenzimmer (Bühne: Nicola Reichert) wahrnehmen, das auch immer wieder mit starken, surrealen Videoprojektionen faszinierend anlassbezogen verändernd wird. Eine Handlung im herkömmlichen Sinne findet nicht statt, es ist eher eine Situationsbeschreibung, wenn Angehörige kaleidoskopartig von gemeinsamen Erlebnissen mit der Komapatientin erzählen. Immo Karaman führt die Figuren trotz der Handlungsarmut ideenreich und präzise.
Die absolute Dunkelheit schärft aber auch beim Zuhörer die akustischen Sinne und so kann man intensiv der mikrotonalen Musik lauschen. Also einer Musik, in der das klassische Halbtonsystem aufgelöst ist und eine Abkehr von der wohltemperierten Skala stattfindet. Dadurch entstehen auch magische Klänge. Aber die Musik ist keine leichte Kost, sie ist wie die gesamte Geschichte schwer verdaulich, sie verstört, sie bohrt, sie schillert, sie ist brutal, sie ist auch bloße, filigrane Klangmalerei. Sie bringt das Publikum nicht nur in eine Grenzerfahrung, sondern fordert es auch immens ebenso wie das Kärntner Sinfonieorchester. Dieses spielt mehr als eine Stunde in absoluter Dunkelheit ohne Anweisungen des Dirigenten Bas Wiegers, der bei Licht exzellent und präzise dirigiert. Die 24 Musiker meistern die Herausforderung bravourös, sie bewegen sich im Klang, hören intensiv aufeinander und tragen eine wechselseitige Verantwortung.
Aber auch die Sänger bewältigen, wenn auch nicht immer textverständlich, die diffizilen Partien bravourös. Allen voran ist Ruth Weber eine famose Michaela, die in der absoluten Dunkelheit glasklare flexible Vokalismen vom Zuschauerraum von sich gibt. Sie sang die Partie schon in Schwetzingen ebenso wie Daniel Glogger als ihr Schwager Alexander als Bariton. Glogger singt auch – in Countertenor-Lage – die dominante, prügelnde Mutter. Aber auch der geschmeidige Stefan Zenkl als ihr Mann Michael wie auch Bryony Dwyer mit sicheren, stratosphärischen Höhen als Ihre Schwester Jasmin sowie wie auch die kleineren Partien gefallen.
Allein die dunklen Phasen kommen 36 Mal auf und wirken im Laufe des Abends inflationär, wie sich überhaupt nach 90 Minuten eine gewisse Langatmigkeit einschleicht und nicht mehr Neues bringt. Auch die permanenten Wortwiederholungen wirken penetrant.
Immer wieder verlassen Zuhörer den Saal. Jene, die bleiben, spenden viel Beifall. Trotzdem eine mutige Großtat für ein so kleines Haus!