Bei Anruf Florett-Stich
REST DER WELT / GRAZ / CYRANO, DAS TELEFON
20/06/17 Zwei Liebhaber, denkbar größter Frust: Cyranos Nase ist in etwa so spitz wie sein Florett. Seine vermeintliche Hässlichkeit sublimiert er mit Poesie-Wortschwällen sonder Zahl. Sein Kollege George täte gerne wenigstens ein paar Worte los werden. Aber was tun, wenn die erhoffte Braut am Handy hängt?
Von Heidemarie Klabacher und
Reinhard Kriechbaum
Zu Saisonende geht man in Graz an ungewöhnliche Orte. Für „Cyrano“ hat man einen Laufsteg von gut zwanzig Meter durch die Kasematten auf dem Schlossberg gebaut. Ausreichend Auslauf für die Hauptfigur in Edmond Rostands Mantel- und Degen-Klassiker und seine Ausfallschritte beim Fechten und Dichten. Beides, das Florett und das Mundwerk, sitzt locker und ist geschliffen. Cyranos Fechtkunst (Kampfchoreografie: Renata Jocic) folgt nicht immer ganz dem klassischen Regelwerk, da wird auch deftig getreten und gerempelt. In übertragenem Sinn funktioniert so auch die Textübertragung von Rostands 1897 geschriebenem, historistischem Stück durch Ludwig Fulda. Verbale Ausfallschritte mit Versen, die aus dem Barock stammen könnten, bis zu heutigen Formulierungen...
Anlass für dieses pfiffige Saisonfinale mit dem Schauspielhaus-Ensemble ist das Achtzig-Jahre-Jubiläum der Kasematten. Die Bühne auf dem Schlossberg wurde 1937 mit Beethovens „Fidelio“ eröffnet. Leider nichts da mit Gattenliebe für Cyrano: Der alerte Knabe ist ja so verbohrt in seine eigene Un-Attraktivität, dass er sich selbst bei jeder Annäherung an die Geliebte im Weg steht. Andri Schenardi trifft einen akkuraten Ton zwischen Selbstironie und abgrundtiefer Verbitterung. Es grenzt an Masochismus, wie er dem Nebenbuhler Christian (Benedikt Greiner) jene Verse schmiedet, die diesem auch tatsächlich die Gunst von Roxane (Henriette Blumenau) einbringen. Nicht nur die Hauptfiguren hat Regisseur Markus Bothe mit bemerkenswert doppelbödigem Witz angelegt: Das hast Pfiff und Hintersinn – es greift entschieden tiefer, als man es bei einem frühsommerlichen Open-Air-Event erwarten würde.
Das Opernhaus verließ für seine letzte Saisonpremiere (zugleich Abschluss des neuen Kurzopern-Zyklus) das Helmer&Fellner-Ambiente in Richtung Murinsel. Nicht nur die Hauptfiguren hat Regisseur Markus Bothe mit bemerkenswert doppelbödigem Witz angelegt: Das hast Pfiff und Hintersinn – es greift entschieden tiefer, als man es bei einem frühsommerlichen Open-Air-Event erwarten würde.
Und das gilt auch für die Oper dieser Grazer Premieren-Sommernacht: Selbst unter den Operneinaktern ist die Opera buffa „Das Telefon“ von Gian-Carlo Menotti in Zwerg. Doch aktueller – und Abseitigkeiten des Zeitgeists entlarvender – ist kaum einmal ein Stoff, als die Story vom armen Verliebten, der seiner Angebeteten einen Heiratsantrag machen möchte und nicht durchkommt. Im Wortsinn: Die Dame telefoniert. Geschrieben tief im Festsnetz-Zeitalter ist das Operlein im Handy-Zeitalter erst so richtig „angekommen“.
Die Sopranistin Lalit Worathepnitinan trällert und zwitschert und weint ganze Dramen ins Telefon, während David McShanes armem Ben (er muss nach dem geplanten Antrag auf Diensteise) in Echtzeit die Zeit davonläuft: Bildschirme mit aktuellen News bilden den Hintergrund im feinen kleinen Restaurant auf der Murinsel, in dem Statisten der Grazer Oper die Gäste spielen und sich verständnisvoll Bens Verzweiflungsausbrüche anhören. Sonst ist „Das Telefon“ eine Oper für eine Sopranistin – wie geschrieben für die stimmlich und darstellerisch hinreißend wendig und virtuos singende und spielende Lalit Worathepnitinan.
„Auf dem Wasser zu singen“ ist natürlich eine Legende. Es geht nicht. Das wissen die Verantwortlichen ganz genau – und verstärken die Sänger. Ein Keyboard, gespielt von der musikalischen Leiterin Tatiana Maksimova, ersetzt nicht nur jedes Orchester, sondern verstärkt klug den Eindruck von live Salonmusik im Restaurant. Regisseur Christian Thausing hat eine hinreißend unprätentiöse Miniatur auf die schwimmende Bühne gebracht, die augenzwinkernd die Kommunikations-Unsinnigkeiten „in unserer Gesellschaft“ auf die Schaufel nimmt.