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Gutmensch und Armmensch

KUNST UNI GRAZ / DER SILBERSEE

12/06/17 Gespielt wird auf Dreck. Auf schwarzem erdigem Dreck, an dem die Putzfrauen der KunstUniGraz nach jeder Aufführung lange zu kiefeln haben werden. Auch dem Zuschauer gibt „Der Silbersee“ von Kurt Weill noch lange zu denken – als psychedelisches Märchen, brennende Sozialkritik oder tragisches Spiel von der scheinbaren Vergeblichkeit des Gutmenschentums.

Von Heidemarie Klabacher

„Der Silbersee. Ein Wintermärchen“ von Kurt Weill auf einen Text von Georg Kaiser: eine Trouvaille, uraufgeführt am 18. Februar 1933 in Leipzig – mitten in der „Machtergreifung“ der Nazis in Deutschland, gezählte 19 Tage nach dem Hitler zum Reichskanzler ernannt worden war. Da hat die Propaganda- und Säuberungsmaschinerie noch nicht reibungslos funktioniert: Aufführungen in Leipzig, Magdeburg und Erfurt fanden statt, doch der Widerstand war vergeblich. Das Stück von Kurt Weill, nach den „Dirnengesängen der Dreigroschen- und Mahagonny-Welt“ längst von der Nazi-Propaganda diffamiert, und Georg Kaiser, „obwohl selbst nicht Jude in die Kreise der Berliner Literaturhebräer“ gehörend, wurden alsbald Gegenstand der perfiden Nazi-Kampagne.

Ganz zu Unrecht ist „Der Silbersee“ auch nach diversen „Zeitenwenden“ in der Schublade des Vergessens verblieben. Man darf den Verantwortlichen an der KunstUniGraz und den Ausführenden vor allem dankbar sein, sich dieser Rarität angenommen zu haben.

Die Musik von Weill klingt auch hier ganz nach Weill. Vor allem Zitate, Motive oder harmonische Wendungen aus Mahagonny meint man immer wieder erkennen, wenn auch auf‘s Ganze gesehen die „Silbersee“-Musik weniger schrill und plakativ daher kommt.

Die Story von Georg Kaiser ist auf geradezu hellseherische Weise zeitlos: Ein Polizist, der Landjäger Olim, schießt auf dem Markt nach einem Dieb, der eine Ananas geklaut hat. Der Polizist wird von schweren Gewissensbissen geplagt und nimmt sich des verwundeten Severin an. Rein zufällig gewinnt Olim im Lotto und kann sich Unterbringung und medizinische Versorgung seines Opfers auf dem neu erworbenen Schloss locker leisten. Nur will der Verwundete weder fröhlich, noch gesund werden, sondern einzig Rache nehmen. Severin weiß nicht, dass sein Wohltäter Olim der Schütze war. Doch bald stehen ohnehin beide wieder auf der Straße und landen im Dreck – hinaus-intrigiert von der dämonisch verführerischen ehemaligen Schlossbesitzerin. Der geplante Selbstmord von Täter und Opfer, die einander inzwischen „erkannt“ und Freundschaft geschlossen haben, wird durch ein mythisch-mystisches Wunder verhindert: Der Silbersee, in dem sie sich ertränken wollen, friert zu…

An diesem Punkt konzentriert sich exemplarisch die Problematik der verdienstvollen Produktion: Hat man das ganze Stück über nur wenig Text – sei es gesprochen oder gesungen – verstanden, war in der Schluss-Szene und „Apotheose“ rein gar nichts mehr zu verstehen. Das ist keineswegs den Sängerinnen und Sängern anzulasten, die sich in polyglotten Deutsch-Varianten auch sprechtechnisch wacker bemühen. Gespielt wird im György-Ligeti-Saal im MUMUTH, einem akustisch grundsätzlich vorzüglichen Raum. Nun hat aber der für die Ausstattung verantwortliche Bühnenbild-Student den Saal auf seine ganze beachtliche Länge zur Cinemascope-Bühne gemacht und mit schwarzer Erde aufschütten lassen. Der „Silbersee“ ist der größte von mehreren wassergefüllten Tümpeln. Das ergibt beklemmende Bilder von trostlosem Leben in Dreck und Tränen, wirkt aber auch massiv als Dämpfer.

Das hervorragend einstudierte Orchester der KUG, pointiert und mit vorwärtsdrängender Verve geleitet von Dirk Kaftan, ist seitlich neben dem ohnehin schon überlangen „Spielfeld“ aufgestellt. Das erschwert die Balance zwischen Musik und Bühne hörbar. Die Inszenierung von Lorenzo Fioroni in der Ausstattung des Bühnenbild-Studenten Christoph Gehre will allzuvieles bringen, und so begegnen wir: Charly Chaplin in zwei Episoden auf der Leinwand (in ihrer uneinholbaren künstlerischen Qualität geradezu ruinös „stark“ für die Szene darunter). Einer dekadenten Schlossgesellschaft in üppigen Barockkostümen, die etwa lärmend „Reise nach Jerusalem“ spielt, während der Darsteller des Severin an einen Sessel gefesselt etwas Klagendes zu singen versucht. Wir begegnen in einem raffinierten gemachten Film der dämonischen Schlossherrin. Wir begegnen ihrer armen Verwandten, Aleksandra Todorovic, die als Dienstmädchen (und auch sonst) missbraucht, für sängerisch überzeugende Momente sorgt. Man trifft die Freunde Severins als eine Art fahrender Theatertruppe des Mittelalters. Man trifft den wunderbaren Schauspieler Tino Sekay als gewissensgeplagten Landjäger… Man trifft einfach auf zu vieles, als dass sich die Überfülle starker Einzel-Momente in eine stringente „Deutung“ bündeln ließen. Das sorgt freilich auch dafür, dass einem das starke Stück noch weniger aus dem Kopf geht. – Also „trotzdem“ anschauen!

Der Silbersee. Ein Wintermärchen – weitere Aufführungen am 12., 14., 16. und 18. Juni jeweils um 19 Uhr im György-Ligety-Saal des MUMUTH - www.kug.ac.at
Bild: KUG/Alexander Wenzel

 

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