Heimkehr mit spätem Debüt
REST DER WELT / MÜNCHEN / UN BALLO IN MASCERA
22/03/16 Es ist kaum zu glauben: Fast 80 Jahre musste Zubin Mehta alt werden, um erstmalig Verdis „Un ballo in Maschera“ zu dirigieren. Er macht dies an der Bayerischen Staatsoper, der er von 1998 bis 2006 als Generalmusikdirektor voranstand.
Von Oliver Schneider
Man will es nicht glauben, dass rund zweieinhalb Stunden ein älterer Herr das Staatsorchester durch die Partitur führt und das Geschehen auf der Bühne mit dem Graben koordiniert. Mehta gestaltet den Abend impulsiv, dynamisch und unerwartet nuancenreich, vor allem den zweiten und dritten Akt. Und wie die Musikerinnen und Musiker dem ehemaligen Chef folgen: Intensiv und voller Frische spielten sie in der besuchten dritten Vorstellung und bewiesen zum Beispiel im Holz, dass sie sich mit jedem Opernhaus im deutschsprachigen Raum messen können.
Wenn man Piotr Beczala als Riccardo und Anja Harteros als Amelia gewinnen kann, hat man schon mehr als die halbe Miete im Sack. Als Riccardo ist Beczala zurzeit eine Traumbesetzung. Mit frei strömendem, tragfähigem und leuchtkräftig auftrumpfendem Tenor gestaltet er den englischen Gouverneur – man spielt die Fassung der Uraufführung 1859 mit Boston als Spielort – mit seiner gespaltenen Persönlichkeit. Mal melancholisch und leidenschaftlich, mal ein vergnügungssüchtiger Beau.
Anja Harteros, die in München ohnehin ein Publikumsliebling ist und dort in den letzten Jahren einige Verdi-Triumphe feierte, meistert auch die unbequeme Amelia fast mühelos. Wenn sie sich in ihrer großen Szene zu Beginn des zweiten Akts von der verbotenen Liebe zu Riccardo mit Zauberkraft befreien will, durchlebt sie diese quälenden Momente stimmlich mit ergreifenden Kantilenen, wunderbar geformten Legatobögen und perfekter Intonation (in Erinnerung bleibt dabei auch die obligate Soloflöte). Jedes Mal von neuem wird man von ihrer klangsatten Mittellage, ihren schlanken Höhen und den schwebenden Piani gefangen genommen. Zu Recht durfte sie den größten Jubel des enthusiastischen Publikums entgegen nehmen, was sie ganz bescheiden tat.
Abgerundet hat das Glück George Petean als zumindest geistig betrogener Ehemann und enttäuschter Freund Renato, dessen nobler, runder Bariton vor allem in der Mittellage gefällt. Die Ulrica wird von Ensemblemitglied Okka von der Damerau interpretiert, die in einem schwarzen Abendkleid der Wahrsagerin ihr aufblühendes Timbre verleiht und mittlerweile hohe Bühnenpräsenz besitzt. Es ist erfreulich zu sehen, wie hoch die Ensemblepflege in München gewertet wird und wie sich eine junge Sängerin wie von der Damerau langsam das große Repertoire für ihre Stimmlage erobert. Den Pagen Oscar schließlich gibt die ebenfalls zum Ensemble gehörende Russin Sofia Formina mit einnehmender Leichtigkeit bis in die höchsten Töne und sicheren Koloraturen. Neben den weiteren Ensemblemitgliedern in den kleinen Partien hat der von Sören Eckhoff einstudierte Chor vokal beweglich und homogen artikulierend einen wesentlichen Anteil am Gesamterfolg des Abends. Bravi tutti!
Wenig lässt sich zur ersten Regiearbeit in München von Johannes Erath sagen. Er lässt den Abend in einer Halle mit geschwungener Treppe spielen. Boden und Decke sind seitenverkehrt gespiegelt, und in der Mitte steht ein großes Doppelbett, wohl als Zeichen für Renatos und Amelias schlußendlich zumindest körperlich nicht begangenen Ehebruch (Bühne: Heike Scheele). Es dominieren einmal mehr Schwarz und Weiß. Zeitlich ist der Abend in der Zwischenkriegszeit verortet, wie die Kostüme (Gesine Völlm) und die Videoeinblendungen von eng umschlungen tanzenden Paaren annehmen lassen (Lea Heutelbeck). Aber wirklich wichtig ist das alles für das Kammerspiel zwischen Amelia, Riccardo und Renato nicht. Jedenfalls steht die Bebilderung dem musikalischen Fest nicht im Wege.