Ein Ring auch zum Selber-Denken
REST DER WELT / MÜNCHEN / RHEINGOLD
14/02/12 Das Wagner-Jahr 2013 wirft immer größere Schatten voraus, ein rundes Geburtstagsfest muss vorbereitet sein. Vor allem, wenn man mit Wagners Opus summum, „dem Ring“, Aufmerksamkeit erregen will. Kent Nagano und Andreas Kriegenburg schmieden bis Saisonende den neuen Münchner „Ring“.
Von Oliver Schneider
Neue Einblicke zu gewähren oder gar Interpretationsansätze zu bieten, wird ohnehin schwierig, zu vieles ist bereits gesagt. In Paris, Wien, Frankfurt ist man bereit, Bayreuth wird 2013 mit dem nächsten – hoffentlich tauglichen – Versuch aufwarten, in Genf wird Dieter Dorn 2013/14 die Tetralogie inszenieren.
Da darf die heimliche deutsche Kulturhauptstadt nicht fehlen. In nicht einmal einem halben Jahr stemmt Andreas Kriegenburg zurzeit an der Bayerischen Staatsoper die vier Teile. „Das Rheingold“ hatte Anfang Februar Premiere, mit der „Götterdämmerung“ werden die Münchner Opernfestspiele eröffnet.
Um es vorneweg festzuhalten, Kriegenburg, der seit einigen Jahren regelmäßig Oper inszeniert und dem in München 2008 eine spannende Deutung von Bergs „Wozzeck“gelungen ist, liefert mit dem „Rheingold“ nicht mehr ab als eine Bebilderung. Naturgemäss nicht neu, ist sein Ansatz, den Mythos um Macht und Liebe auf die Ebene des Heute herunterzuholen. Dies geschieht, indem junge Menschen schon vor Beginn des Vorspiels auf der offenen Bühne picknicken und gut gelaunt auf den Beginn der Geschehnisse warten. Einzelne Protagonisten betätigen sich bedienend, was die gesellschaftlichen Ebenen verschwimmen lässt. Wenn dann das letzte Pausenzeichen verklungen ist, hört man das Fließen des Rheins, bevor der Es-Dur-Akkord aus dem Graben erklingt. Die jungen Menschen ziehen ihre Kleider ab und verwandeln sich in die Wogen des Rheins, was ein äusserst stimmiges Bild ergibt.
Was auf dem Rheingrund, vor Walhall oder in Nibelheim passiert, schildert Kriegenburg als allgemeingültige Aussagen. Neid, Machtgier, Verrat, Liebe, Delikte wie Raub, Mord und Diebstahl sind allgegenwärtig. Das ist nichts Revolutionäres, klar, rüttelt aber doch mal wieder wach, zumal man diesem „Rheingold“ anmerkt, dass hier ein Schauspiel-erfahrener Regisseur mit den Sängern gearbeitet hat. Ein bisschen Mythos lassen Kriegenburg und sein Team (Bühnenbild: Harald B. Thor, Kostüme: Andrea Schraad, Licht: Stefan Bolliger) doch zu: Wotan behält seinen Speer, die Riesen sind als solche zu erkennen, die Göttinnen und die Rheintöchter scheinen mit ihren blonden, langen Haaren direkt der germanischen Sage entsprungen zu sein. Feuergott Loge tritt nicht nur im roten Anzug auf, sondern erhält auch die passende Beleuchtung.
Entscheidend ist aber, dass Kriegenburg das Übertragen der inhaltlichen Aussagen, was Wotan mit den Riesen verhandelt oder dem Nachtalben Alberich mit Hinterlist abtrotzt, wieder dem mündigen Zuschauer überlässt. Eine erfreuliche Abwechslung, die den Opernbesucher fordert und ihm selbst Deutungsspielraum lässt, der heute mehrheitlich von den Regisseuren kanalisiert wird. Deshalb darf man auf die weiteren Teile der Tetralogie gespannt sein.
Auch musikalisch ist der Ring-Start gelungen. Der Münchner Generalmusikdirektor Kent Nagano mag nicht die elektrisierende Wirkung auf Musiker haben wie ein Christian Thielemann. Dafür formt er einen durchsichtig modulierten Orchesterklang, der auch für die Sänger angenehm erscheint. Suggestiv ausgesteuerte Effekte kostet Nagano mit dem Bayerischen Staatsorchester gezielt aus, so dass sie eine noch stärkere Wirkung als gemeinhin erreichen, zum Beispiel wenn die Nibelungen Alberichs Gold aus Nibelheim für Wotan herauftragen müssen. Alles in allem hat es sicherlich wärmere Rheingold-Interpretationen als jene Naganos in den letzten Jahren gegeben.
Die Sängerbesetzung ist ordentlich, nicht mehr: Johan Reuter als kerngesunder Wotan, Stefan Margita als listiger Loge, Thorsten Grümbel als Fasolt und Philip Ens als sein Bruder Fafner, Sophie Koch als etwas schmale Fricka und Aga Mikolaj als edle Freia. Herausragend sind nur Wolfgang Koch als gierigerAlberich und Ulrich Re? als sein Bruder Mime, auf den man sich schon im „Siegfried“ freuen darf.
Wem die Aufführungen an sich nicht reichen oder wer sein Hintergrundwissen erweitern will, bietet die Bayerische Staatsoper für Geist und Sinne ein umfangreiches Beiprogramm mitProjektionen auf der Nationaltheater-Fassade, einer spezielle Website, einem Ring-Ordner, für den es wöchentlich vier Seiten mit Materialien gibt, Seminaren und Matineen und einem Jugendprogramm.