Die Bartoli in Maria Malibrans Fußstapfen
REST DER WELT / ZÜRICH / OTELLO
13/02/12 Ein vierter „Otello“ in der Ära Pereira am Opernhaus Zürich und noch dazu ein zweiter in seiner letzten Spielzeit? Mitnichten, denn indem der Salzburger Festspielintendant eine 1816 uraufgeführte, heute selten gespielte Version der Oper von Rossini auf den Spielplan setzt, sorgt er für eine interessante Vergleichsmöglichkeit.
Von Oliver Schneider
Das Libretto von Francesco Berio di Salsa zur Opera Seria, mit der Rossini die Brücke zum italienischen Melodram schlägt, weicht stärker von Shakespeares Drama ab als jenes von Arrigo Boito für Verdi. Handlungsmotor ist nicht die wahnsinnige Eifersucht des Protagonisten, gelenkt von einem durchtriebenen Jago, sondern der Konflikt Desdemonas mit ihrem Vater Elmiro. Desdemona hat Otello heimlich geheiratet, Elmiro aber hasst Otello wegen seiner Hautfarbe und als Aufsteiger, der vom Dogen und den Spitzen der Staates und des Militärs Anerkennung erfährt. Das verhängnisvolle Taschentuch ist durch ein Briefchen und eine Haarlocke ersetzt.
Das flämische-französische Regieduo Moshe Leiser und Patrice Caurier verlegt die Handlung zwar in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, greift aber sonst nur sparsam deutend in den Plot ein. Entstanden ist so eine klassische Nacherzählung. Um die Wichtigkeit des Themas der Ausgrenzung zu unterstreichen, wird ein Diener dunkler Hautfarbe im ersten Akt in den Sälen der Staatsführung malträtiert. Ein Murano-Glasleuchter deutet den Ort der Handlung an (Bühnenbild: Christian Fenouillat).
Das zweite Bild des zweiten Akts spielt im Hinterzimmer eines Migrantencafés, wo Desdemona ihren Vater um Verzeihung für die heimliche Heirat mit Otello bittet. Eine Erniedrigung für den Vater, seiner Tochter dorthin folgen zu müssen. Doch bittet sie ihren Vater wirklich um Verzeihung? Cecilia Bartoli zeichnet in diesem Moment ein anderes Bild, was im Einklang mit Rossinis und Berio di Salsas Anlage der Rolle steht. Mit festem Willen steht sie zu Otello, so dass ihre Bitte um Verzeihung wie ein Lippenbekenntnis wirkt. Am Schluss des Finales blickt sie mit der Bierflasche in der Hand auf dem Tisch stehend fast triumphierend ob ihrer inneren Kraft auf ihren Vater herab.
Um Desdemona werben drei Rossini-Tenöre, die technisch Hochleistungen erbringen müssen: neben dem Sieger von Zypern noch Rodrigo und früher einmal auch Jago.Für Maria Malibran, auf deren Spuren die Bartoli mit dieser Rolle erneut wandelt, war die Desdemona eine Paraderolle. Für die neue künstlerische Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele ist sie es auch. Wie sie dieser starken Frau Leben einhaucht, ist schlicht grandios. Es gelingt ihr bereits mit ihrem Auftrittsduett im ansonsten langatmigen ersten Akt, in dem sie gegenüber ihrer Vertrauten Emilia (rollendeckend Liliana Nikiteanu) über ihren inneren Zwiespalt zwischen Vater- und Gattenliebe nachdenkt. Wenn sie im Lied vom Weidenbaum im dritten Akt, bei dem die Harfeneinleitung zunächst kratzend von einer Vinylplatte erklingt, ihren Tod vorausahnt, so geht dies unter die Haut. Als große Tragödin stirbt die Bartoli dann im Schlussduett, in dem auch John Osborn als Otello zu seiner Form findet, nachdem er am Premierenabend im ersten Akt mit den vertrackten Koloraturen zu kämpfen hatte.
Mühelos phrasiert und artikuliert sein Widersacher Rodrigo, Javier Camarena. Er brilliert genauso mit Koloraturgeläufigkeit und verströmt dabei emotionalen Belcantoglanz. Edgardo Rocha als Iago ist der dritte Tenor im Bunde, leider ohne eigene Arie. Auch die übrigen Rollen sind sorgfältig besetzt. Peter Kálmán besitzt für die dunklen Charakterseiten von Desdemonas Vater die richtige Stimmfarbe. Für seine und Rodrigos Doppelmoral finden die beiden Regisseure im abrupten und dramaturgisch unglaubwürdigen Schluss eindringliche Gesten. Während Elmiro zunächst seinem Schwiegersohn vordergründig verzeiht, Rodrigo großmütig auf Desdemona verzichten will, nachdem sich Iago als der eigentliche Bösewicht geoutet hat, entpuppen sich diese Worte nur als leere Hülsen. Denn als sie Otellos Bluttat entdecken und er sich selbst mit dem Dolch ersticht, treten sie den Sterbenden mit Füßen und fallen in den tief sitzenden Hass zurück.
Am Pult sorgt Muhai Tang über weite Strecken für den nötigen Belcanto-Brio und zeigt sich als plastischer Gestalter der packenden orchestralen Passagen. Das Orchestra La Scintilla folgt aufmerksam, und die Musiker gefallen in den vielen solistischen Einsätzen.