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Manons Aufstieg und Fall

ZÜRICH / MANON

10/04/19 Es war Zeit, Jules Massenets Meisterwerk Manon wieder einmal zu programmieren. Im Opernhaus Zürich in einer Luxusbesetzung: Piotr Beczala ist der hoffnungslos Verfallene, Elsa Dreisig gibt ihr Rollendebüt in als Manon.

Von Oliver Schneider

Die Inszenierung des Niederländers Floris Visser ist überraschend konventionell und lässt den Protagonisten viel Entfaltungsmöglichkeit. Zum Einstimmen zeigt Visser während des kurzen Orchestervorspiels ein kleines Mädchen, das zum Entsetzen des strengen Vaters vom strahlenden Glanz des Kronleuchters und den Roben der Damen an einem Ball im elterlichen Haus regelrecht fasziniert ist. Dann setzt Massenets Oper nach dem Roman des Abbé Prévost ein.

Um Manons Lust nach Geld und Luxus im Keim zu ersticken, schickt der Vater die Tochter mit der Postkutsche in ein Kloster. Doch schon in Amiens endet die Reise, weil Cousin Lescaut seinen Auftrag, das Mädchen zu behüten, zu wenig ernst nimmt und sich die kokette junge Dame Hals über Kopf in den adretten Chevalier Des Grieux verliebt – und umgekehrt. Die beiden jungen Leute setzen sich nach Paris ab. Doch es ist klar: Die ärmliche Stube wird nur eine Zwischenstation bei Manons Traviata-mässigem Aufstieg sein.

Gespielt wird in einer Box mit matt-orangen, verblichenen Wänden, die sich auf der Rückseite bei Bedarf ganz oder teilweise öffnen. Kostüme und zusätzliche Elemente in der Szenerie weisen auf die Entstehungszeit hin (Bühnenbild und Kostüme: Dieuweke van Reij) und lassen sich mit dem gesellschaftlichen Kontext und der damaligen Position der Frau begründen.

Floris Visser hält sich in der Schilderung der Episoden aus Manons Leben eng an das Libretto. Sein Augenmerk gilt dabei nicht nur der Charakterisierung der Protagonisten – Massenets Typen begegnet man auch heute –, sondern auch dem gesellschaftlichen Umfeld. Im 19. Jahrhundert mögen sich die Gaffer das Maul über mit der Postkutsche ankommende Reisende zerrissen haben, heute bilden andere Fremde das Thema. Der von Ernst Raffelsberger einstudierte Chor der Oper Zürich und der Statistenverein spielen und singen mit vollen Einsatz das tratschende, gehässige Volk.

Dass die Liebe auf den ersten Blick zwischen Manon und Des Grieux nicht auf einem sicheren Fundament steht, ist von Anfang an klar. So jung Manon ist, ein unschuldiges Landmädchen ist sie nicht. Sie weiss sehr wohl, wie sie mit den ungelenken Avancen eines Guillot de Morfontaine (gut Éric Huchet) umgehen muss. Was bringt ihr mehr: ein Leben in Liebe und Armut oder ein solches in Luxus an der Seite des Steuerpächters Brétigny (tadellos Marc Scoffoni)? Dagegen ist Des Grieux reichlich naiv und lebt seine unreife Liebe nur im Augenblick. Ob Manon sich bewusst ist, dass sie ihn skrupellos ins Verderben laufen lässt?

Elsa Dreisig füllt alle Facetten der jungen Frau aus: vom jungen Landmädchen mit schwebendem und leuchtendem Wohlklang in der Stimme bis zur von der Gefangenschaft gezeichneten Sterbenden. In diesem letzten Moment und im Kloster Saint-Sulpice, wo sie Des Grieux vom Priestergelübde abhält, haucht Dreisig Manon wirklich Seele ein. Wenn etwas szenisch von diesem Abend in Erinnerung bleiben wird, dass ist es die Schlussszene mit der Läuterung: Die Box öffnet sich, die Gesellschaft hebt zerbrochene Spiegelscherben als Zeichen von Manons Befreiung von ihrem zerstörerischen Egoismus und ihrer Luxussucht in die Höhe und Manon stirbt in Des Grieux' Armen.

Für Elsa Dreisig hätte der Premierenabend noch zu einem größeren Triumph werden können, wenn Marco Armiliato und die Philharmonia Zürich sie einfühlsamer begleiten würden. Vor allem im vierten Akt wird sie zum Forcieren verleitet. Insgesamt musiziert das Orchester solide und sorgt auch für einige differenzierte Momente. Zum Beispiel in Manons Je marche sur tous les chemins, in dem sie traumartig ihr verlorenes wirkliches Glück mit Des Grieux reflektiert und dabei ein altes, tanzendes Paar vor Augen hat.

Piotr Beczala ist mit seiner stimmlichen Impulsivität, Strahlkraft und Bühnenpräsenz für den Des Grieux eine Traumbesetzung. Yuriy Yurchuk wirkte als Des Grieux zunächst noch etwas hölzern, spielte und sang sich aber im Laufe des Abends freier. Sehr überzeugend gelingt ihm der Wandel vom Beschützer der Cousine zum im Grunde Zuhälter, der alles tut, um aus Manons Abstieg für sich Profit zu schlagen. Alastair Miles verleiht sDes Grieux' Vater die nötige Seniorität.

Weitere Vorstellungen am 13., 18., 22. und 26. April, 4., 12. und 15. Mai – www.opernhaus.ch
Bilder: Opernhaus Zürich / T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

 

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