Die Ohren hinter der eisernen Maske
CD-KRITIK / Die eiserne Maske
15/09/15 Leute, die sich mit Blockflöte oder Gambe bewaffnen, rechnen – so möchte man meinen – eher nicht zu jenen, die politische Botschaften in die Welt hinaus jagen. Irrtum. Das Ensemble „La Ninfea“ widmet eine CD den politisch Verfolgten...
Von Reinhard Kriechbaum
Also fehlt im Booklet nicht der Aufruf, sich im Sinne von Amnesty International für die „Briefe des Vergessens“ einzusetzen. Wahrscheinlich hätten allerdings solche Briefe jenem rätselhaften Mann kaum geholfen, dessen Schicksal die Musikerinnen und Musiker von „La Ninfea“ zu einer sinnlichen Zusammenstellung französischer Barockmusik angeregt hat: Es ist jener „Mann mit der Eisernen Maske“, der Alexandre Dumas zu einem Roman angeregt hat, und der von einem guten Dutzend weiterer Autoren ebenfalls literarisch abgehandelt wurde. Der Dumas-Stoff ist seinerseits oft verfilmt worden: Jean Marais hat den tragischen Unbekannten gespielt, Richard Chamberlain und in den späten neunziger Jahren Leonardo di Caprio. Wer er war? Vielleicht der Zwillingsbruder Ludwig XIV.; vielleicht der leibliche Vater des Roi-Soleil (der demnach ein unterschobenes Kind gewesen wäre); oder auch Ergebnis eines Seitensprungs der Gattin des Sonnenkönigs, Anna von Österreich. Haarsträubende Theorien. Gewiss ist: Keiner durfte wissen um die Identität des Langzeit-Gefangenen, der sein Gesicht eben hinter einer eisernen Maske versteckt halten musste. 1703 ist der Anonymus hinter Kerkermauern gestorben.
Was macht „La Ninfea“ aus dem Stoff? Sie beschreiben zuerst anhand von Charakterstücken, was der gefangene an Traurigkeit durchlitten, an Seufzern ausgestoßen, wie er vergeblichem gefleht haben mag. Sainte-Colombes Concert IX „Le Suppliant“ für zwei Gamben gibt da viel her, aber auch in „Tombeau pour Mr. De S.te-Colombe“ von Marin Marais könnte man manch heftigeren Ausbruch als zugefügten Tort umdeuten.
Aber es soll ja nicht so gewesen sein, dass der gewiss prominente Gefangene irgendwo in feuchter Tiefe dahinvegetiert hätte. Angeblich hat er sogar Musik machen dürfen – Anlass für die Blockflötistin Barbara Heindlmeier, für die Gambisten Christian Heim und Marthe Perl, für Simon Linné (Theorbe) und Alina am Cembalo nach Literatur zu greifen, die geeignet wäre, das Gemüt auch in der Einzelhaft aufzuhellen. Das gilt übrigens auch für die Interpretation. Für Aufführungspraktiker ist ein Konvolut von Stücken eines „Monsieur Toinon“ (von dem man biographisch wenig weiß) ob der mitüberlieferten Verzierungstabelle von hohem Interesse. Sein „Sommeil lent“ für zwei Diskantgamben und Basso continuo ist ein wunderbares Genrestück und leitet über zu einem Abschnitt mit Stücken, die illustrieren, was wohl an Geräuschen von außen in den Kerker getönt hat: Da sind Marais' hochberühmten „Les voix humaines“, die nicht minder populären „Echos“ und auch seine „Cloches ou Carillon“, die hier fürs ganze Ensemble gesetzt sind.
Und nach alledem: Nicht vergessen, für Amnesty International zu unterschreiben!