Maria beflügelte auch eine Opernschöpferin
CD-KRITIK / MARIA, DOLCE MARIA
23/12/19 Die Gottesmutter Maria hat Komponisten zu jeder Zeit inspiriert, und es war keineswegs so, dass die Tonschöpfer dabei immer eine kirchenmusikalische Verwendung vorsahen. Vor allem im 12./13. hatte – lateinische und auch volkssprachliche – Dichtung (und auch Vertonung) marianischer Texte Hochkonjunktur.
Von Reinhard Kriechbaum
Überhaupt kein Wunder, dass später, in der Zeit, da die Monodie aufkam, die frühbarocken Meister auch wieder gerne solchen Texten griffen. Leben und Gefühlswelten der Gottesmutter waren aus der Kirche wohlbekannt. Wer einen solchen Text wählte, konnte sich drauf verlassen, dass dem Publikum der jeweilige Ausdruck, die dramatische Situation vertraut und verständlich war. So hat Claudio Monteverdi hat in seiner Sammlung Selva morale e spirituale sogar das berühmte Lamento d'Arianna textlich umgemünzt zu einem Klagegesang der Maria. Noch viel bekannter ist die Canzonetta Spirituale sopra la Nanna von Tarquinio Merula, eine charismatische, in einen Schlafgesang fürs Jesuskind verpackte Passacaglia auf einen Sekundschritt als Mikro-Thema. Maria, das Kind wiegend, ahnt voraus, was Jesus (und damit sie) dereinst leiden wird müssen.
Marien-Musik des Frühbarock also hat man für diese CD genauer unter die Lupe genommen. Das Spannungsfeld zwischen geistlich und weltlich zeichnet sich schon bei den beiden eröffnenden Nummern von Francesca Caccini (1584-1640) ab, der Tochter des Giulio Caccini und Schöpferin der frühesten Oper von Frauenhand. Maria, Dolce Maria (das der CD den Titel spendete) auf einen italienischsprachigen Text wird man sich als virtuose Musiknummer eher in einem Florentiner Salon vorstellen müssen. Das Regina coeli, nicht minder koloraturenreich im Stil der frühen Monodie, könnte aber durchaus auch seinen Platz in der Kirche, am Ende der abendlichen Komplet, gefunden haben.
Einnehmend geschmeidig, mit hoher Kompetenz in Verzierungsfragen gestaltet die Sopranistin Wendy Robool all diese Gesänge, die nicht zuletzt eines verlangen: dass die Sängerin das Intime vieler Textvorlagen und den gleichzeitig dramatischen Gestus zusammenführt. Dem arbeitet die Continugruppe mit Gambe, Theorbe, Orgel und Cembalo akkurat zu.
Zu all diesen Stücken gäbe es vermutlich weit mehr zu erzählen als dies im eher dürftigen Booklet geschieht. Allein das Stabat mater des Giovanni Felice Sances (ca. 1600-1679), tätig in Rom und dann als Hofkapellmeister in Wien! Was hat ihn zu dieser Vertonung für eine Singstimme motiviert haben? Das Stabat mater war damals noch gar nicht in liturgischer Verwendung: Das Fest „Sieben Schmerzen Mariens“, bei dem es als Vesper-Hymnus gesungen wird, ist erst 1814 eingeführt worden (es war vorher nur im geistlichen Portfolio des Servitenordens verankert). Der Sänger-Komponist hat es wohl am ehesten als brillantes Vortragsstück für sich selbst geschrieben, wobei er auf die Effektsicherheit des Textes aus dem frühen 14. Jahrhundert baute. Freie, ariose Passagen wechseln mit solchen über einen Passacaglia-Bass, ein in der barocken Musik-Rhetorik stets Trauer imaginierendes chromatisches Quartfall-Motiv.
Auch über Philipp Friedrich Böddecker (1607-1683) und Johann Melchior Gletle (1626-1683) schweigt sich das Booklet aus. Erster war unter anderem in Darmstadt, Frankfurt und Straßburg tätig, der andere vor allem in Augsburg – Beispiele also für Kirchenmusiker in katholischen gegenden Deutschlands, die begierig den monodischen Stil aufgriffen.
Sogar bei Giovanni Girolamo Kapsberger (1580-1651) wurde man in Sachen Marien-Motetten für Solostimme fündig. Die CD bietet also ein Kompendium fein und kleinst besetzter Marien-Musik aus einer überschaubaren Zeitspanne, vielfältig und mit verführerischer Wirkung.
Maria, dolce Maria. Wendy Roobol (Sopran), Krijn Koetsveld (Orgel, Cemblao), Arjen Verhage (Theorbe), Cassandra Luckhardt (Viola da gamba). Brillant classics Nr. 95893 – www.brilliantclassics.com