Die Musik-Eier des Kolumbus
CD-KRITIK / HUELGAS ENSEMBLE
17/12/19 Ob Columbus ausgehungert war nach Musik, als er 1504 die vierte seiner Expeditionsreisen (ab 1492) abgeschlossen und wieder festen Boden unter den Füßen hatte? Wir wissen es nicht, The Ear of Christopher Columbus wird uns wohl fremd bleiben.
Von Reinhard Kriechbaum
The Ear of Christopher Columbus ist der Titel des jüngsten CD-Programms des Huelgas Ensembles unter Paul van Nevel. Ein Musik-Sampler wie dieser ist für ein weniger sachkundiges Musikpublikum gewiss hilfreich: eine Zusammenstellung von Stücken, die Kolumbus zumindest gehört haben könnte, die damit auch für den Laien zeitlich klar zu verorten sind.
Vor 1480 war Kolumbus noch in Italien, wobei sich bekanntlich Genua und Venedig (genauer: das damals zur Seerepublik Venedig rechnende Korcula) um die Ehre seines Geburtsortes streiten.
Also hat Paul van Nevel zwei Stücke aus eben dieser Zeit in Frottole-Tradition gewählt, dazu ein anonymes „Da pacem Domine“. Dann aber geht es gleich mit Kolumbus nach Spanien und Portugal. Komponisten der Ensembles von Isabella und Ferdinand – König und Königin unterhielten jeweils eigene Hofkapellen – hatten ihre eigene Spürache, gerade fürs weltliche Repertoire. Villancico und Romance waren dort dominierende Formen, meist in dreistimmigem, eher homophonem Vokalsatz. In Kolumbus' Todesjahr 1506 kam es in Valladolid nicht nur zu einem interessanten Treffen von Royals. Herzog Philipp der Schöne machte Isabella und Ferdinand dort seine Aufwartung, und seine burgundischen Instrumentalisten und Sänger reisten auf eigenem Schiff mit. Drei Hofkapellen mit unterschiedlichen Idiomen also an einem Fleck!
Das klingt und war wohl auch aufregender, als es eine CD, auch mit ambitionierter Musikauswahl, spiegeln kann. Immerhin: Sanctus und Agnus aus der Missa „J'ay pris amours“ von Mabrianus de Orto und ein ebenfalls vierstimmeges Agnus aus der Missa „Malheur me bat“ von Alexander Agricola bringen weitere Farben ein.
Insgesamt freilich sind 58 Minuten Musik zu wenig, um wirklich eine Hör-Geographie aus Kolumbus-Perspektive zu vermitteln. Man gewinnt von dieser Zusammenstellung eher den Eindruck, dass der um die Interpretation von Vokalmusik des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit so verdiente Paul van Nevel ein Schmankerlprogramm so recht nach eigenem Gusto und eigenen Vorlieben zusammengestellt hat. Das ist legitim für den unterdessen 76jährigen Dirigenten. Das 1970 gegründete Huelgas Ensemble (nächstes Jahr wird es also fünfzig) kann seine Meriten ausspielen. In zehnköpfiger Besetzung, führt man Homogenität in ihrer edelsten Form vor. Die Spezialität der Musizierweise à la Nevel und Huelgas sind die schier unendlich gespannten Linien, die ihrerseits auf analytisch genauer Phrasierung aufsetzen. Und das eben in einem Schmelzklang, der nach wie vor seinesgleichen sucht. Ja, lebendiger geht’s schon – aber das Huelgas Ensemble und Paul van Nevel sind selbst schon eine hoistorische Grföße in der Interpretenszene.