Bockssprünge in der Kirche und am Marktplatz
CD-KRITIK / H.I.F. BIBER
03/09/19 Die Geigen und Violen sprudeln, silberhell tönt die Orgel durch – doch da meldet sich selbstbewusst, fast querulant im fünfstimmigen Satz, die Bassstimme zu Wort. Sie knallt eine andere Melodie, ein anderes rhythmisches Modell hin.
Von Reinhard Kriechbaum
Weil die Orgel das Continuo übernimmt und diese gar nicht zurückhaltend registriert ist, kommt die Widerborstigkeit mit recht bracchialer Kraft heraus. Selbst in der mit dreieinhalb Minuten Spieldauer kürzesten der zwölf Sonaten von Heinrich Ignaz Franz Bibers Fidicinium Sacro-Profanum (die meisten dieser Einsätzer bewegen sich um die fünf, sechs Minuten) herrscht sagenhaftes Leben mit allerlei Sprunghaftem.
Der ganze Stücktitel, das üppige Küchenlatein übersetzt: „Geist-weltliches Saitenspiel, für Kirche wie Marktplatz, für mehrere Streichinstrumente kunstgerecht komponiert und für das gemeinsame Spiel geeignet“. Zu welcher liturgischer Gelegenheit in der Kirche Stücke mit solchem Affektgehalt haben gespielt werden können, fragt man sich als heutiger Hörer. Und fürs Forum, den Marktplatz hat der österreichische Geigenmeister Biber (1644-1704) wohl auch nicht komponiert. Die Formulierung „Sacro-Profanum“ wird wohl als Tribut an den den geistlichen Widmungsträger, den Salzburger Erzbischof Max Gandolph von Kuenburg, zu verstehen gewesen sein. Anspielung auf seinen geistlichen Rang und seine Lebenslust, die sich in vielen ihm gewidmeten Kompositionen niederschlug. Bibers Fidicinium stellt man sich am besten in einem der Säle der Residenz zu abendlichen Unterhaltungen vor, auch als repräsentatives musikalisches Beiwerk zu höfischen Zeremonien (vielleicht in Abwechslung mit den Beiträgen der Hoftrompeter) oder als musikalische Würze zu Freiluft-Unterhaltungen im Lustschloss Hellbrunn, etwa im Teatrum der Wasserspiele dort.
All diese Stücke eint, dass sie vermeintlich brav, im Common sense der althergebrachten Consortmusik anheben. Die ersten sechs Sonaten sogar tatsächlich noch in der dafür üblichen Fünfstimmigkeit. Aber da ist nichts Altmodisches, Biber steht längst für den Hochbarock. Der Klang differenziert sich augenblicklich, reibt sich an melodischen Ecken und Kanten. Die Polyphonie wird ausgereizt, und auf kleinstem Raum gibt es Gedanken-, ja Bockssprünge sonder Zahl.
Es müssen von Biber also nicht unbedingt die jeden Geiger fordernden Rosenkranzsonaten sein. Die Consortmusiken Mensa sonora und eben hier das zwölfteilige Fidicinium Sacro-Profanum macht – an dieser CD unmittelbar zu erfühlen – auch heutigen Ausführenden viel Spaß, sie fordern dazu heraus, mit launigen, großzügigen Zugriffen nicht zu geizen. Bringt ein Ensemble Sinn für Überraschungen mit und entwickelt es dramaturgisches Bewusstsein, dann sind das schier überrumpelnd lebensvolle Stücke. Die Geiger Florian Deuter und Mónica Waisman an der Spitze ihrer Gruppe Harmonie Universelle zeigen es vor. Glutvoller geht’s fast nicht. Stück um Stück macht es Staunen, wie kernige Themen spontan ins Spielerische aufgelöst werden oder – gegenteiliger Weg – tänzerische Muster quasi eingefangen, verdichtet, gesteigert werden. Wie bei Biber immer: Alle paar Takte passiert was, und das will vorgezeigt, klug gewichtet und natürlich geigerisch perfekt gefasst sein. Auch von der Gruppe verlangt der virtuose Geiger Biber mehr als solides Streicher-Handwerk.
Oft fragt man sich bei Gesamtaufnahmen solcher Werkreihen, ob man der Musik damit Gutes tut, da die Stücke ja nie dazu gedacht waren, dass eins nach dem anderen in Serie erklänge. Bei Biber stellt sich dieser Gedanke explizit nicht, denn gerade in der Abfolge bekommt man besonders gut mit, wie viel Erfindungsreichtum und Potential zu Abwechslung in diesen Stücken steckt.
Sehr wahrscheinlich, dass damals, in der Generation nach dem Dreißigjährigen Krieg, mancher Kleinstaat-Lenker den Salzburger Fürsterzbischof um Heinrich Ignaz Franz Biber (zuletzt im Rang des Hofkapellmeisters) beneidet hat. Und Biber war ja nicht der einzige, der dort zugange war. Genau in der Mitte der zwölf Biber-Sonaten kommt in dieser Einspielung Georg Muffat zu Wort, der damalige Hoforganist, mit seiner Toccata Duodecima aus dem „Apparatus musico-organisticus“. Die Salzburger Musik konnte sich damals wirklich hören lassen...