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Wahrheit, Schönheit, Kitsch

LESEPROBE / NEUHARDT / MEIN SALZBURG

18/09/20 Prälat Johannes Neuhardt, der Salzburg-Intimissimus schlechthin, wird heute Dienstag (22.9.) neunzig Jahre alt. Wahrscheinlich kennt niemand die Stadt so gut wie er. Im Verlag Müry-Salzmann ist sein Buch Mein Salzburg Die verkaufte Schönheit erschienen. Ein Abschnitt aus dem Vorwort, dem Neuhardt den Titel Genug ist genug vorangestellt hat.

Von Johannes Neuhardt

Salzburgs lange Geschichte hat so manche Persönlichkeit hervorgebracht, die auch heute als Leitfigur taugt. Und schon vor Jahrhunderten wurden Grundsteine für eine blühende multikulturelle Landschaft gelegt. [...] Rupert, Virgil, Arn, Eberhard – alle waren sie, heute würde man sagen „Gastarbeiter“ an der Salzach. Von sämtlichen Erzbischöfen des Mittelalters war nur einer aus Salzburg gebürtig: Friedrich II. (1270–1284).

Große Teile des heutigen Wahlvolks scheinen vergessen zu haben, wie sehr echte Kultur den ständigen Austausch mit anderen Kulturen braucht, um lebendig und fruchtbar zu bleiben. Beinahe jeder Österreicher und jede Österreicherin ist ja selbst ein „Völkergemisch“.

Freilich dürfen wir in einer gedächtnisgeleiteten Kultur nichts unter den Tisch wischen, was beschämend war oder ist. Dies gilt in besonderem Maß für manches Kapitel der Kirchengeschichte. Zu oft und zu folgenschwer wurde das Christentum als Immunisierung für schwache, aber geltungsbedürftige Menschen missbraucht – bis in die höchsten Ränge. Oftmals wurde es als Traum vom leidfreien Glück verkannt, als mythische Seelenverzauberung oder – in den letzten Jahrzehnten – als psychologisch-ästhetische Unschuldsideologie.

Längst sollten wir Abschied nehmen vom Anspruch der Selbsterlösung, die in unzähligen schillernden Spielarten angeboten wird. [...]

Vermutlich waren wir Menschen im Gang der Weltgeschichte noch nie so gefährdet, unsere Würde zu verlieren, weil wir in rastloser Sorge um die vergänglichen Dinge sind und die Beurteilung unserer Leistung dieser Würde doch nie gerecht werden kann. Erfolg ist kein tauglicher Maßstab für den Sinn des Lebens. Was, wenn die Summe des Lebens nicht die Summe der Erfolge, sondern die Summe der bewältigten Niederlagen ist? Salzburg kann in seiner gesamten Geschichte geradezu als ein Musterbeispiel dafür gelten.

Es stimmt deshalb hoffnungsfroh, wenn sich im Nachvollzug von Geschichte dort und da aus Niederlagen allmählich etwas Neues erhebt. „Wenn du nicht verwandeln kannst, kannst du es auch lassen“ – ist ein barockes Bonmot. Es ist dies eine brauchbare Metapher auch für uns heute noch.

Viele unserer Vorfahren lebten lange mit Provisorien, somit konnte etwas überraschend Schönes entstehen. Der Dom war ein Vierteljahrhundert lang Baustelle; die Wunden des Stadtbrandes 1818 sah man gar noch hundert Jahre später.

Dass Salzburg heute in enormem Maß von seiner geschichtlichen Substanz lebt, ist Menschen zu danken, die eine ganz andere Vorstellung von Zeit hatten, ein anderes Bild von der Zukunft, obwohl sie nur die Hälfte unserer Lebenserwartung kannten. Wer würde heute etwas unterstützen, in dessen „Genuss“ er nicht kommt?

Als Salzburg im Jahr 1996 das Ehrenprädikat „Weltkulturerbe“ erhielt, machte sich eine gewisse Verlegenheit breit. Man wusste nicht recht, was man damit anfangen sollte. Ob es nicht einige Schuhnummern zu groß wäre für Salzburg, hörte man fragen. Denn: Kann man die Schönheit der Stadt preisen und zugleich ihren Ausverkauf, die Bauwut, die Spekulation und den ungezügelten Tourismus zulassen? Wie weit ist die Substanz dieser Stadt noch in heimischer Hand? Wem gehört die Innenstadt?

Müssen wir fürchten, dass, wie anderswo in Europa, bald auch die Kirchen zum Verkauf stehen? Auf Karl den Großen und die Synode von Tribur geht der Begriff locus sacer zurück, der heilige Ort. Auf ihm durfte weder ein Wohnhaus noch etwas kommerziell Genutztes stehen. Der locus sacer – das Fanum – wird aus dem Normalen – dem Pro-fanum – herausgeschnitten: ein heiles Stück Welt inmitten des Allzumenschlichen. Dieses Prinzip wurde dann auf den Kirchenraum übertragen. Soll es jetzt fallen?

Die Basisschrift der jüdisch-christlichen Kultur, die Bibel, beginnt mit dem Bild eines Gartens, dem Paradies, und sie endet mit dem Bild einer Stadt, der neuen Stadt, dem himmlischen Jerusalem. Zwischen Garten und Stadt vollzieht sich die Geschichte.

Jede noch so schöne irdische Stadt hat diesem Verständnis gemäß eine nur vorausweisende, schattenhafte Funktion. Es wirkt, als sei dem Stadtbild von Salzburg ein solches Bewusstsein noch eingeschrieben. Ihm erstrahlt das Schöne anders und tiefer, und es schützt auch davor, die Schattenseiten zu übersehen.

Mit Geschichte beschäftigen wir uns hauptsächlich nicht um ihrer selbst willen. Vielmehr lässt sie uns an Erfahrungen anderer teilhaben, um unser Leben gut gestalten zu können. In der Welt von heute verlaufen die Grenzen weniger zwischen Ost und West, Nord und Süd, als zwischen Menschen, die eine Zukunft haben, und Menschen, die sich nichts mehr erwarten. Es besteht die Gefahr, dass Salzburg noch mehr zur Enklave der Schönen und Reichen wird.

Da eine Gesellschaft aus der Erinnerung lebt, unsere Zeit aber im Schaumbad von Belanglosigkeiten zu versinken droht, in das uns der Mainstream zieht und das wir für das wirkliche Leben halten, ist es um unsere Zukunft fraglich bestellt.

Ich sehe in Salzburg seit langer Zeit Menschen in hoher Verantwortung, denen die geistigen und geistlichen Voraussetzungen dazu fehlen. Die Verzwergung der Stadt macht mir Sorge. Viele weitreichende Entscheidungen sind von kurzfristigen (Eigen-)Interessen motiviert, bei der Besetzung wichtiger Ämter zählen fachliche und menschliche Qualifikation oftmals wenig. Die Massengesellschaft scheint es nicht zuzulassen, dass sich große Persönlichkeiten entfalten, vielmehr begünstigt sie eine Nivellierung nach unten.

Wer getraut sich Partei zu ergreifen in einer auf Konfliktverdrängung gepolten Gesellschaft?

Und wer hat nicht Angst, zur schlechten Botschaft zu werden, wenn er Missstände beim Namen nennt?

Schönheit im umfassenden Sinn lässt sich weder gewinnen noch erhalten, wenn sie nicht der Wahrheit oder – besser – der Wahrhaftigkeit verpflichtet ist. Im Griechischen gibt es für Wahrheit und Schönheit nur ein einziges Wort. Wahrheit und Schönheit sind nicht teilbar. Der Preis der Spaltung ist Fassade, auch Kitsch genannt.

Johannes Neuhardt: Mein Salzburg. Die verkaufte Schönheit. 176 Seiten, 25 Euro. Verlag Müry Salzmann, 2020 – www.muerysalzmann.com

Bild: dpk-krie (1)

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