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Das Meiste im Universum - Dampfplauderei

LESEPROBE / RAURISER LITERATURPREIS / EDELBAUER / ENTDECKER

04/04/18 „Frei umeinandergekorkt kreiseln gewaltige Haufen von sprachlichen Feldern umher. Das meiste darin freilich ist Staub, Gas, dunkle Materie – Dampfplauderei. Und doch hängt das ganze Ding in einer gewissen Logik zusammen, durch die Gravitation fest in seine Gestalt gezwungen.“ Raphaela Edelbauer erhält für ihr ironisch zwischen Kosmologie und Aphoristik changierendes Debüt „Entdecker. Eine Poetik“ heute Mittwoch (4.4.) den Rauriser Literaturpreis. – Hier eine Leseprobe.

Von Raphaela Edelbauer

Entdecker 4. Gravitation

Folgendes Gedankenexperiment brachte als Folge der Einstein'schen Relativitätstheorie lange Zeit die Köpfe zum Rauchen: Wenn Licht – und das ist zweifellos – am schnellsten von überhaupt allem ist, dann ist die Gravitation langsamer. Acht Minuten benötigt das Licht von der Sonne zur Erde. Sollte eines Tages aus nicht erfindlichen Gründen die Sonne verschwinden, dann würde die Erde also acht Minuten lang – und vielleicht sogar ein ganz kleines Bisschen länger – ihre Kreisbahn noch weiter beschreiben, ehe sie geradeaus im unendlichen All verschwände, wovor eine unsägliche Druckbewegung die Gehirnhemisphären der Schwächeren zum Platzen gebracht hätte,    und wonach die Robusteren noch auf ihr Verenden in der ewigen, eisigen Nacht warten müssten. Aber vor all dem wären wir nicht weniger als 4800 Sekunden lang unterwegs um einen leeren Massemittelpunkt: Einen den wir sehen, obwohl er nicht da ist. Einen, der uns hält, obwohl er nicht existiert.

Für lange Zeit dachten wir, die Sprache würde sich bloß um uns drehen und alles andere sich um unsere Welt; und mit dieser Eigenumkreisung meinten wir alles erfasst zu haben. Und wie der Mensch jedes Wesen benannte, so sollte es heißen: Wir dachten, die Sprache erfunden zu haben.

Ein Wort schien uns die Nachformung eines Dinges, also das Wort Apfel die Nachformung eines Apfels. Unsere Münder waren trabandend an der Selbstbeschreibung der Sprachfelder beteiligt, die die Sonne ohne viel Aufwand zu Früchten wandelte; ein Licht am aufgehängten Himmelsgewölbe befestigt, das uns gottgegebene Wege beschien.

Die Katstrophe kam, als wir die Worte GESTALTEN wollten: Im Schweiße unseres Angesichts arbeitend, erkannten wir, die nackten Existenzen mit Begriffen verhüllen zu müssen. All das   war direkte Folge des paradiesischen Glaubens, unser Sprachuniversum selbst ausstatten zu dürfen.

Auszoom 1. Bald schon verlagerte sich der Massemittelpunkt. Wir begriffen deutlich, dass die Gravitation ein Gefüge an uns bindet: Das geozentrische Sprachbild. Ähnlich in die Jahre gekommenen Sonnen gibt es eines Tages eine jähe Materieveränderung, eine Supernova, die das Wortmaterial verschlingt. Dies schien uns der unweigerliche Alterungsprozess der Sprache – deswegen hatten wir immer neue Begriffe parat, die wir als Orbitanten losschickten. Das Wort "Chaiselongue" beispielsweise, ehedem in allen Sprachräumen ausgedehnt, verwitterte und fiel in sich zusammen, während das frühere Kümmerpflänzchen "Computer" kometenhaft aufstieg und immer voluminöser wurde.

Die Begriffe schienen uns um einen sonnenhaften Bezug zu kreisen, aber ACHTUNG: Ist die Rotation eines Begriffes um seinen Mittelpunkt eingeleitet, können wir durch keine Kraft der Welt diesen wieder losschneiden. Überzeugung versagt, selbst Propaganda scheitert – eine feste Vermählung von Wort und Ding.

Auszoom 2. Wenngleich das alles seine Gefügigkeit besaß, begriffen wir doch bald, dass wir nur einen Planeten von vielen bevölkerten. Eine Unzahl an Himmelskörpern rotiert um ein und denselben Zentralstern.

Jeder der Kugelkörper hat seine eigenen Gesetzmäßigkeiten, seine jeweiligen Bedingungen und unendlich viele davon könnten von anderen Lebensformen bevölkert sein, wie schon der Astronaut Ludwig Wittgenstein festhielt.
Je nach Eintrittsneigung der Laute in den einzelnen Systemen, ergeben sich verschiedene Brechungen bishin zum Ultraschallkonsonanten. Die Perspektiven lassen sich nicht verschieben: Auf einen sprachlichen Einfall folgt der nächste meist im selben Winkel.

Wir begannen verschiedene Formen von Planeten zu unterscheiden: Planète ist das physikalische Vermögen des Rundkörpers zur Umkreisung. Planètoïde bezeichnet die einzelne Ausfomung, den jeweiligen Planeten. Cercle ist hingegen der konkrete Akt des Himmelskörpers, das Umkreisen Hier-und-Jetzt.

Auszoom 3. Aber auch das stellte sich als zu kurz gedacht heraus. Immer größer verzwirbelte Sogstrukturen – Bedeutungsgalaxien, wurden entdeckt.

Frei umeinandergekorkt kreiseln gewaltige Haufen von sprachlichen Feldern umher. Das meiste darin freilich ist Staub, Gas, dunkle Materie – Dampfplauderei. Und doch hängt das ganze Ding in einer gewissen Logik zusammen, durch die Gravitation fest in seine Gestalt gezwungen. Einander widersprechende Sätze und Theoreme wurden als Teile ein und desselben Universums begriffen, so unvereinbar sie auch schienen. Dauernde, krachende Kollisionen...!

Mit freundlicher Genehmigung des Klever Verlages.

Raphaela Edelbauer: Entdecker. Eine Poetik. Mit Zeichnungen von Simon Goritschnig. Klever Verlag, Wien 2017, 176 Seiten, 22 Euro - klever-verlag.com
Raphaela Edelbauer erhält heute Mittwoch (4.4.) im Rahmen der Eröffnung der Rauriser Literaturtage den Rauriser Literaturpreis
2018 und liest aus "Entdecker" - www.rauriser-literaturtage.at
Bilder: Klever Verlag/Simon Goritschnig

 

 

 

 

 

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