Abgestellt zwischen Spargel und Kühen
LESEPROBE / LILO TISSEN / MUTTERZWIST IM HAUSE HABSBURG
23/06/17 Das Gedenkjahr für Kaiserin Maria Theresia – geboren vor 300 Jahren – schlägt sich auch am Buchmarkt nieder. Bei Müry-Salzmann ist „Mutterzwist im Hause Habsburg“ erschienen. In fingierten, aber auf historischen Tatsachen beruhenden Briefen zeigt Lilo Tissen, dass zwischen den weiblichen Mitgliedern des Hauses Habsburg nicht immer Sonnenschein herrschte. - Hier eine Leseprobe.
Von Lilo Tissen
28. August 1747
Elisabeth Christine, die Mutter Maria Theresias und Witwe von Karl VI., an ihrem 56. Geburtstag
Schloss Hetzendorf, chinesisches Zimmer
Was für ein Leben?! ... Ein Wrack bin ich ... Verwelkt, zerstört. ... Wie hat man mich einst mit Schmeicheleien über meine Schönheit, meinen Liebreiz überschüttet: Ich überträfe alles, was die Dichter über Juno und die zarten Maße der Venus je gesungen haben, die Grazien seien meine Schwestern ... Von meinen Augen voller Lieblichkeit hat man geschwärmt, „weiße Liesl“ nannte Karl mich stolz wegen meiner ebenmäßigen hellen Haut. Die Leute drängten danach, meine Hände zu küssen. Noch immer sind sie wohlgeformt und das Einzige an mir, das dem Verfall bisher getrotzt hat. „Niemals hätte ich mir träumen lassen, dass Sie so schön sein könnten!“, rief Karl begeistert aus, als er mich im Hafen der kleinen katalanischen Stadt Mataro zum ersten Mal sah. Er konnte seinen Blick nicht von mir wenden und das, obwohl ich todmüde war von der langen, strapaziösen Reise im Hochsommer, die mich von Wien über Mailand nach Spanien führte. Ein Mückenschwarm hatte mich noch dazu arg zerstochen.
Ja, Karl, der Kaiser und Mann, mit dem ich 32 Jahre verheiratet war – er ist lange tot, die Lobeshymnen auf mich verklungen. […]
Nun bin ich allein. Sitze in meinem chinesischen Zimmer, das ich an diesem Schloss vor allem liebe. Mein Blick lässt sich für Momente einfangen von der zierlichen chinesischen Plastik, die mir am nächsten auf einer Konsole steht und mich so besonders anrührt: ein fremdartig feingliedriges Figürchen, überaus kunstvoll aus Speckstein geschnitzt.
In meinen offenen Beinen ist ein schrecklicher Schmerz. Meine Verbände sind durchnässt, aus ihnen tropft es. Sie müssten gewechselt werden, bald wird die eklige ätzende Flüssigkeit aus den Wunden herausströmen wie aus einem Wasserkran. Ich kann weder liegen noch sitzen. Es ist niemand da, mich Tag und Nacht zu versorgen. So muss ich mich alleine durchschlagen.
Seit Jahren ruht Karl nun schon in der Kapuzinergruft, in seinem prächtigen Sarkophag, an jeder Ecke des Sarges tragen Totenschädel die vier Kronen, für die Karl ein Leben lang mit allen Mitteln gekämpft hat.
Dass ich, die über Jahrzehnte Kranke, Karl überleben sollte – und das jetzt schon fast sieben Jahre –, stand ganz sicher nicht auf der Wunschliste des Hauses Habsburg. Nicht böse, nein, eher traurig und wie um Erlösung flehend hatte Karl mich so manches Mal aus seinen braunen Augen angestarrt, wobei er seine Unterlippe, die typisch habsburgische, noch melancholischer als sonst herabhängen ließ. Ob wohl diese seine Frau noch imstande wäre, ihm den ersehnten Sohn und dem Reich den so dringend erwarteten Thronerben zu schenken? Bei meinem Alter und der zerrütteten Gesundheit standen die Chancen schlecht. Wenn ich also vor Karl gestorben wäre, hätte er wieder heiraten und männlichen Nachwuchs zeugen können. […]
Sobald ich die Augen schließe, erscheint mir Leopold Johann, mein einziger Sohn. Auf dem Paradebett in der Ritterstube liegt er in einem silberdurchwebten Kleid. Bleich und starr. Zur öffentlichen Besichtigung aufgebahrt.
Im Tod noch wurde er Opfer einer ungemein barbarischen Sitte der Habsburger: sein winziger geliebter Körper von den kaiserlichen Leibärzten aufgeschnitten und ausgeweidet wie ein erlegtes Tier. Herz, Eingeweide, Zunge, Augen herausgerissen...
Ich lag währenddessen in den Gemächern nebenan und kämpfte gegen die Übelkeit einer neuen Schwangerschaft an. In diesen verzweifelten Stunden sah ich mein zukünftiges Leben vor mir, wusste für Momente schmerzlicher Klarheit, dass Leopold Johann für immer mein einziger Sohn bleiben würde. Um so heftiger wehrte ich mich gegen das, was da seit Wochen in mir heranwuchs. Trug es nicht die Schuld am plötzlichen Tod des Erbprinzen? Hatten die Beschwerden, die es mir bereitete, mich blind gemacht und erste Krankheitszeichen an meinem kleinen Sohn übersehen lassen? […]
Nach acht unfruchtbaren Ehejahren war es im April 1716 endlich gelungen. Die Geburt des Thronfolgers konnte verkündet werden. Zu dem besonderen Anlass ließ der Kaiser auch eine Medaille prägen, ein besonders schönes Stück: in der Mitte ein Medaillon, mit der Aufschrift „Gaudete, Elisabeth Christine peperit filium.“ Darüber die Krone Karls V. mit dessen Wahlspruch „Plus ultra“. – Ja, der Bann war gebrochen, immer weiter, immer mehr, so dachten Karl und ich und blickten hoffnungsvoll in die Zukunft.
Überschwänglich wurde der kleine Erzherzog begrüßt. In ganz Wien war Festbeleuchtung. Im Mittelpunkt einer großen Feier stand die Aufführung von „Angelica, Vincitrice di Alcina“ im Garten der Favorita. Diese Wasseroper war von Karls Hofkapellmeister Fux eigens für den strahlenden Anlass komponiert worden. Die Bühne, über einem breiten Kanal erbaut, wurde während des Spiels in zwei Teile geteilt, so dass man das Wasser erblickte, auf welchem zwei Flotten von vergoldeten kleinen Schiffen ein Seetreffen nachstellten.
Ich war glücklich: endlich ein Kind, ein Sohn, ein Erbprinz! Für den Moment fühlte ich mich von einer unerträglichen Last befreit. Das jahrelange Bangen und Hoffen, die Frustrationen und Schuldzuweisungen, die religiösen Anfeindungen, die in meiner Kinderlosigkeit die gerechte Strafe Gottes für eine Ketzerin sahen, die angeblich empfängnisfördernden Quälereien – das alles war vergessen. Meine Stimmung trübte sich auch nicht, als wir die Aufführung mittendrin abbrechen mussten, weil es zu regnen begann. Dass die Wasseroper im wahrsten Sinne ins Wasser fiel, darin sahen viele ein böses Omen, aber in meiner alle Welt umarmenden Seligkeit ließ ich solche Zeichen nahenden Unglücks nicht an mich heran.
Die Klänge der Jubel- und Dankfeste im ganzen Land waren kaum verklungen, da hatte dieser gefeierte Erlöser des Hauses Habsburg sein kaum begonnenes Leben ausgehaucht.
Ein halbes Jahr später wurde Maria Theresia geboren. Meine erste Tochter. Die einzige, die mir geblieben ist. Und die, kaum selbst an die Macht gelangt, mich hier, in Hetzendorf, auf dem Land, zwischen Spargel und Kühen abgestellt hat.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Müry Salzmann