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Ich glaube an den literarischen Pollenflug

LESEPROBE / STEINWENDTNER / DER WELT ENTLANG

17/10/16 Zwei Jahre lang reiste Brita Steinwendtner durch Österreich und Europa und besuchte Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Entstanden sind 16 Porträts von Plätzen, Landschaften und Persönlichkeiten von Brüssel bis Ptuj. Sie besuchte Bodo Hell am Dachstein oder begleitete Ilija Trojanov von Sofia durch die Welt nach Wien. – Hier eine Leseprobe.

Von Sofia durch die Welt nach Wien

Von Brigitta Steinwendter

Frei werden – das war der Traum meines Vaters, sagt Ilija, frei vom kommunistischen Regime, von Repression, Parteibuch, Überwachung, Denunziation und geografischem Gefängnis. Der Vater hatte die renommierte Technische Hochschule in Sofia absolviert, es herrschte jedoch nicht die Elite des Wissens, sondern die der Nomenklatura, Moskau bestimmte Politik und Wirtschaft, und die Partei bestimmte die Zukunft jedes Einzelnen, sie waren Schachfiguren. 1968 musste der Vater Spitzel auf dem Weltjugendkongress sein – es war der letzte Stein im Mosaik eines lange gereiften Entschlusses: Flucht in den Westen. Im Roman wird der Vater Vasko genannt.

Die Flucht in die Flucht, der Drang weg weg weg, über die Jahre faßte er in Vasko Wurzeln, wie eine exotische Pflanze im Marmeladenglas auf dem Fenstersims. Im Humus seiner Unzufriedenheit, der kleinen, täglichen Frustrationen, gedieh sie bestens, bewässert und gedüngt von Ahnungen und Sehnsüchten.

Im Sommer hatte uns Ilija seine Eltern, Tanja und Marin Trojanow, vorgestellt, wir saßen im Kaminzimmer eines Schlosses, wo Ilijas und Susanns glanzvolle Hochzeit gefeiert wurde. Wir wollten mehr wissen über diese Flucht, als Ilija ein Kind war: August 1971, alles war bereit, erzählt Marin Trojanow, zwei Koffer, nur das Nötigste konnte mit. Endlich ein Familienpass, Papiere für Jugoslawien und Ungarn genehmigt. Verwandten und Freunden gegenüber die Vortäuschung: Wir fahren ans Schwarze Meer auf Ferien, den ganzen Sommer. Nicht einmal die Großmutter ist eingeweiht. Dollars sind gesammelt und in den hohlen Eckstangen des längst unnütz gewordenen Laufstalls versteckt, um ins „Gelobte“ zu kommen, ins gelobte Land des Westens.
Diese Zweifel, dieser Schmerz, alles zurücklassen zu müssen, sagt Tanja Trojanow, die Anglistik studiert hatte, wenn ich heute daran denke, kommt mir diese Flucht total verrückt vor. Was für ein leichtsinniges Abenteuer mit einem Kind von knapp sechs Jahren, was wäre gewesen, wenn man uns erwischt hätte!

Die SS 55, wo die Trojanows vor mehr als vier Jahrzehnten auf ihren Fluchthelfer warteten, ist eine alte Handelsstraße von Nord nach Süd, tiefdunkelgrüne Zypressen säumen ihre Ränder, fruchtbares Schwemmland des riesigen Isonzo. Es ist Freitagnachmittag, starker Pendlerverkehr von Triest und Monfalcone zurück in die Dörfer Friauls. Wir fahren durch Rilkes Duino, heftiger Wind bläst, an der Strada Costiera wird er zum Sturm, die Bora fällt von den Karstklippen ins Meer, kräuselt es auf, gibt ihm alle Farben von Blau und Grau, jagt die Wellen hinaus an den orangefarbenen Horizont, die Muschelbänke tanzen. Die Sonne geht unter. An der Piazza dell’Unita d’Italia, wo unser Hotel liegt, herrscht Harmonie, Triest ist die Königin der Lichtgestaltung, taucht seine Plätze in die Mystik der Zeitlosigkeit.

Mit freundlicher Genehmigung des Haymon Verlages.

Brita Steinwendtner: Der Welt entlang. Vom Zauber der Dichterlandschaften. Mit Fofografien von Wolf Steinwendtner. Haymon Verlag, Innsbruck 2016. 351 Seiten, 24,90 Euro - hww.haymonverlag.at
Brita Steinwendtner präsentiert ihr neues Buch am Dienstag (18.10.) um 19.30 in der Fachbibliothek Unipark Nonntal – in einer gemeinsamen Veranstaltung des Literaturarchivs mit der Universitätsbibliothek, dem Fachbereich Germanistik und den Freunden der Rauriser Literaturtage

 

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