Junge Wilde – alte Haudegen
DAS KINO / BERGFILMFESTIVAL
18/11/14 Es ist eine leise, sanftmütige Spielart von Bergsport: Michael Kemeter hat eine Slackline über den Grünen See in der Steiermark gespannt. 250 Meter weit ist er über dem Wasser balanciert. Das war damals, 2013, Weltrekord. - Ein Streiflicht aufs Donnerstag (20.11.) beginnende Bergfilmfestival.
Von Reinhard Kriechbaum
Was die Herausforderung des Slacklinens über Wasser mental bedeutet, erzählt Kemeter im kurzen Film aus dem Off. Allein auf weiter Flur ist ein solcher Water-Liner keineswegs, auch wenn er und Seinesgleichen nicht zu den publikumsträchtigen Event-Lieferanten gehören. Bald ist sein Weltrekord wieder gefallen - und liegt jetzt bei 329 Metern.
Was für ein Unterschied zu Shane McConkey! Er war eine der innovativsten und schillerndsten Persönlichkeiten der Freeski-Szene. Tragisch sein Ende: Da sich die Ski zu spät lösen, ist der größte Athlet, den der Extremsport bislang kannte, 2009 in den Südtiroler Dolomiten umgekommen. Bei einem Stunt, den manche als Wahnsinn bezeichneten.
Natürlich liegen angesichts solch unterschiedlicher alpin-sportlicher Positionen auch zwischen den jeweiligen filmischen Stilistiken Berge. „Kino“-Chef Michaerl Bilic und seine Kuratoren betonen, dass sie mit dem flotten MTV-Videoschnitt (wie ihn der Film über Shane McConkey spiegelt) eigentlich nichts am Hut haben.
Die drei Herren, die heuer das Plakatmotiv fürs 21. Bergfilmfestival abgeben, sind Herbert Tichy, Pasang Dawa Lama und Sepp Jöchler, die Erstbesteiger des 8.201 Meter hohen Cho Oyu. Genau sechzig Jahre ist das her. Herbert Tichy gilt die Dokumentation „Wanderer zwischen den Welten“ von Lutz Maurer. Tichy war ja nicht nur Bergsteiger, sondern auch Weltreisender, Abenteurer, Philosoph, Journalist. Ein ernster, stiller Mann, der neugierig war und das Wesen und die Besonderheiten fremder Kulturen auf seinen Reisen und Aufenthalten in fremden Ländern zu ergründen und erfassen suchte. 1953 durchquerte er als erster Europäer gemeinsam mit Pasang Dawa Lama das westliche Nepal. Im Jahr darauf also war er einer der Erstbesteiger des Cho Oyu. Tichy prägt auch mit seinem Schreibstil eine neue Art der Reise- und Bergliteratur. Er lässt die Leser teilhaben an seinen Eindrücken, seinen Gedanken, seinen Erfahrungen. Viele Menschen in Europa erfuhren erstmals durch Tichy von Tibet und Nepal, von der Religion und Kultur der Himalayavölker.
Detail am Rande: Im Ranking der Nationen liegt kein Land so gut wie Österreich, was die (Erst-)Besteigungen von Achttausendern in der Himalaya-Region angeht. Vor allem in den fünfziger und frühen sechziger Jahren haben Österreicher dort ein gewichtiges Wort mitgeredet. Gerlinde Kaltenbrunner, eine der Achttausender-Kapazitäten, war übrigens schon Gast beim allerersten Salzburger Bergfilmfestival. Sie ist heuer natürlich auch dabei. Gertrude Reinisch war Mitglied der legendären Frauenexpedition in den Himalaya, aber heuer ist sie mit einem ganz anderen Unternehmen beim Festival präsent. Sie hat – wieder mit einem Frauen-Team – Österreichs Grenzen unmittelbar umrundet. Da fühle man sich oft einsamer als in tibetischen Höhen, sagte sie danach. Natürlich geht das nicht alles per pedes. Wo Flüsse die Landesgrenze bilden, ist man gepaddelt.
Rund vierzig Filme sind beim Bergfilmfestival zu sehen. „Junge Wilde – alte Haudegen“ wäre vielleicht ein passendes Motto, sagt Michael Bilic. „Zu den Jungen zählen beispielsweise Matthias Mayr und Sandra Lahnsteiner mit ihren Freeride-Abenteuern vom steirischen Loser bis ins ferne Neuseeland beeindrucken sie seit geraumer Zeit alle Skibegeisterten.“ Erstmals in Salzburg ist Hansjörg Auer zu Gast. Der Kletterpartner von David Lama gehört seit einiger Zeit schon zur absoluten Weltspitze. Extremes am Limit, österreichische Freeski-Filme, Eiskletterer und schwindelerregende Paragleitakrobatik können das junge, abenteuerlustige Publikum begeistern.
Zu den echten Haudegen des Alpinismus gehört Wolfgang Nairz. 1978 leitete er eine der erfolgreichsten Mount-Everest-Expeditionen aller Zeiten, in deren Verlauf Reinhold Messner und Peter Habeler die sensationelle erste Besteigung des Everests „by fair means“ gelang. Wolfgang Nairz ist am Eröffnungstag übermorgen Donnerstag (20.11.) zu Gast.
Gar nicht hochalpin: „Wie die Salzburger Schifahren lernten“ ist Thema von insgesamt sechs Nachmittag-Stadtführungen, in deren Rahmen auch ein Film von Gerald Lehner über den Skipionier Otto Lang gezeigt wird.
Einer der Bergfilmfestival-Gestalter ist der Salzburger Alpinist, Journalist und Buchautor Thomas Neuhold. Ebenfalls am Eröffnungstag wird sein neues, bei Pustet erschienenes Buch „60 Super Skitouren“ vorgestellt. Außerdem kommt der „Skitourenatlas“ in zweiter Auflage heraus, den er und Clemens M. Hutter geschrieben haben.
Zwischen 7.000 und 10.000 Menschen kommen jedes Jahr zum Bergfilmfestival ins „Kino“. Das ist nicht zuletzt der Mischung aus cineastisch Anspruchsvollem und durchaus auch Zeitgeistigem auf der Leinwand geschuldet – und natürlich auch den prominenten Vortragenden. Jedes Jahr aufs Neue betont man ja, wie sehr sich unser Verhältnis zum Berg durch allerlei neue Extremsportarten gewandelt hat.