Wirklich alt genug zum Sterben?
MARK / FILMPRÄSENTATION
27/10/16 Es ist nicht auszuschließen, dass der Film „Einer von uns“ manchen Besucherinnen und Besuchern des MARK unter die Haut geht. Jungregisseur Stephan Richter – er ist morgen Freitag (28.10.) im MARK zu Gast – hat ja aus der unmittelbaren Lebenswirklichkeit junger Leute geschöpft. Und aus einem tatsächlichem Kriminalfall.
Von Reinhard Kriechbaum
Bei der Österreichischen Erstaufführung bei der Viennale und dann bei der „Diagonale“ in diesem Frühjahr hat „Einer von uns“ jedenfalls nicht wenig Betroffenheit ausgelöst. Es war ein Beitrag, der in Graz durchaus für den Film-Hauptpreis infrage gekommen wäre. Später ist der aufrüttelnde Film mit dem Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken und einem ROMY für die beste Regie bedacht worden. Er lief auch in der „Perspektive deutsches Kino“ auf der Berlinale.
Es ist eben kein „Kriminalfilm“, sondern eine akkurate Zustandsbeschreibung eines jungen Lebens, dem ein Schuss aus der Dienstwaffe eines Polizeibeamten den Garaus macht. Keine „kriminelle Karriere“ eines Jugendlichen, sondern die Geschichte von einem, der einfach die falschen Freunde hat,ohne sie eigentlich zu suchen. Er scheitert an der Teilnahmslosigkeit der Erwachsenenwelt, an einem System,in dem Empathie mit jungen Menschen nicht mehr vorgesehen ist. Deprimierend sind die harten Schnitte zwischen den prall gefüllten Supermarktregalen und der armseligen Lebenswelt der Heranwachsenden, ohne Vorbilder, quasi einbetoniert in der Tristesse hinter den Konsumtempeln.
Flo P. – so hieß der vierzehnjährige Bursche wirklich, der 2009 von einem Polizisten bei einem Einbruch in eine Merkur-Filiale erschossen worden ist. Der Fall hat damals viel Staub aufgewirbelt. „Wer alt genug zum Einbrechen ist, ist auch alt genug zum Sterben“, kommentierte damals Krone-Kolumnist Michael Jeannée: schwer zu überbieten an Selbstgefälligkeit und Zynismus.
„Das Bild von einem Jungen, der in einer bunten Warenwelt stirbt, hat sich in meinem Kopf manifestiert und dem bin ich dann intuitiv gefolgt“, sagte der Regisseur in einem Interview. Der Filmemacher Stephan Richter wurde 1980 in Dresden geboren. Seit dem Studienabschluss an der Universität für angewandte Kunst Wien im Jahr 2007 etablierte sich Stephan Richter vorwiegend als Medienkünstler und Regisseur für Experimentalfilme und Musikvideos. Das Milieu einer Jugend ohne rechte Perspektive hat er im Ossi-Deutschland nach der Wende mitbekommen. Genau diese Ausweglosigkeit, der Mangel an Vorbildern, an Ansprechpartnern als Symptom unserer Zeit: Das schildert Richterin dieser Milieustudie. Der Polizist und Todesschütze (gespielt von Andreas Lust) kann einem eigentlich auch nur leid tun,auch wenn sein (privater) Frust, seine Unbeherrschtheit letztlich ausschlaggebend sind fürs schnelle Abdrücken. Der Gang der Dinge hat eine Folgerichtigkeit, die in ihrer Unerbittlichkeit an eine griechische Tragödie erinnert.