Ein „work in progress“
HINTERGRUND / DOMQUARTIER / WELTERBE (2)
19/04/24 Nicht nur, dass die Flammen züngeln, wenn der mittelalterliche Dom abbrennt. Wenn in der neuen 3D-Animation zur Baugeschichte des Dombezirks mittelalterliche Gebäude demoliert werden, dann gibt's gehörig Baustaub. Sogar Vögel fliegen über der Salzburger Innenstadt und Menschen sieht man auch in den Gassen.
Von Reinhard Kriechbaum
Viel „Motion Design“ also in dieser stattliche drei Meter breiten, animierten Baugeschichte. Sie will vor allem auch vermitteln, wie geistliches und weltliches Repräsentationsbewusstsein in Salzburgs Geschichte ineinander gegriffen haben. Domquarter-Chefin Andrea Stockhammer hält fest: „Für die Begründung der Welterbewürdigkeit von Salzburg war und ist das heutige DomQuartier von zentraler Bedeutung: Hier war das Zentrum des geistlichen Fürstentums, das weltliche und geistliche Macht vereinte. Hier kann man in Architektur und Ausstattung den Austausch zwischen der italienischen und deutschen Kultur anschaulich studieren.“
Die Residenz war ein „work in progress“, wie im Video zu sehen ist. Es wurde renoviert, abgerissen, adaptiert und neu gebaut. Die Quellenlage ist unbefriedigend, insbesondere für die wesentliche Zeit unter Fürsterzbischof Wolf Dietrich. Da sind weder Pläne noch Rechnungen oder Schriftverkehr erhalten. Die interessantesten Akten für die frühe Neuzeit sind im Salzburger Landesarchiv verwahrt – die bei den Regierungswechseln angelegten Inventare, genaue Auflistungen sämtlicher sich im Haushalt des Gebäudes befindlichen Gegenstände, Lagerbestände und dergleichen.
Eingeflossen in die Animation ist ein Stadtbild von 1553. Da sehen wir die mittelalterliche Fürstenstadt – den viel zu groß dargestellten romanischen Dom, dahinter das Domkloster als Sitz des Domkapitels, davor den Domfriedhof. Weiters den vierflügeligen mittelalterlichen Bischofshof sowie die romanische Klosteranlage von St. Peter.
Das Stadtzentrum zeigt auch die Stadtansicht von 1565 (das Original ist verschollen, eine 1858 von Georg Pezolt angefertigte, originalgroße Kopie verwahrt das Salzburg Museum). Zu sehen ist jener Baubestand, den Wolf Dietrich von Raitenau (1587–1612) im Jahr 1587 bei seinem Regierungsantritt in Salzburg vorfand. Diese mittelalterliche Stadt musste dem im kunstreichen Italien aufgewachsenen Wolf Dietrich höchst kümmerlich anmuten. Der alte Bischofshof glich eher einem Gutshof, es gab Wohnung und Stallungen, Werkstätten, Wirtschafts- und Vorratsräumen. Als Trakt für die erzbischöflichen Wohnräume diente der Nordflügel, das so genannte „Rinderholz". Eine der wesentlichsten Entscheidungen damals war es, den alten Bischofshof durch Umbau und Erweiterung letztendlich als Residenz neu zu gestalten und das Neugebäude – heute fälschlicherweise Neue Residenz genannt – zum Verwaltungsgebäude umzuwidmen.
Die fürsterzbischöfliche Residenz sah in ihrer Baustruktur eine strikte Trennung zwischen repräsentativem und privatem Bereich vor. Familiäre Rückzugsorte waren zwei Erweiterungsbauten: die sogenannte Dietrichsruh und der Toskanatrakt mit ihren zusammenhängenden Gartenhöfen und der sala terrena, einer (zunächst) offenen Halle, die beide Gärten verband.
1598 war's durch die Feuersbrunst um den spätromanischen Dom geschehen. Der Weg zum Neubau war frei, der Dombrand steht symbolisch für das Ende des Mittelalters in Salzburg. In der älteren Literatur wird der spätromanische Dom als größte Kirche bezeichnet, die Salzburg je hatte. Das ist unterdessen widerlegt. Außen war das Gebäude zwar 110 Meter lang – um rund acht Meter länger als der heutige Dom. Ansonsten aber war der Vorgängerbau deutlich bescheidener dimensioniert. Das barocke Querhaus ist um immerhin zehn Meter breiter als das mittelalterliche. Der Vierungsturm war bis zur Spitze vermutlich 58 Meter hoch, die Kuppel des barocken Doms misst bis zur Laternenspitze stattliche 72,85 Meter. Auch die Westtürme, die auf Erzbischof Konrad I. (1. Hälfte 12. Jh.) zurückgingen, waren schmäler und wahrscheinlich nicht höher als 55 Meter. Die heutigen Türme sind fast zwanzig Meter höher.
Der Historiker Gerhard Ammerer fasst zusammen: „Mit Wolf Dietrich von Raitenau begann die barocke Erfolgsgeschichte Salzburgs.Er steht am Anfang von Salzburgs glanzvollem Weg zum europäischen Barock.Salzburgs einzigartiges Stadtbild trägt deutlich seine Handschrift, verdankt ihr barockes Aussehen in erster Linie ihm und wurde Vorbild für zahlreiche andere (Residenz-)Städte nördlich der Alpen.“
Übrigens erfasste der Modernisierungseifer damals auch das Stift St. Peter. Unter Abt Martin Hattinger wurde 1605 die halbrunde Hauptapsis der Stiftskirche abgebrochen und durch einen größeren rechteckigen Chorabschluss ersetzt. Bis 1610 wurde beinahe das gesamte Kloster umgebaut. Die Mönche ließen sich immer wieder vom nahen Baugeschehen anstecken. Als der Dom eine Kuppel erhielt, sollte auch die Stiftskirche St. Peter mit einer Kuppel ausgestattet werden. Diese wurde sogar noch vor der Domkuppel, 1622, fertiggestellt. Konkurrenz belebt – das galt offenbar auch für den Salzburger Kirchenbau.