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Todesröcheln des Dialekts?

HINTERGRUND / ALLTAGSSPRACHE

27/03/20 „Dialekte vermitteln ein Heimatgefühl. Dialekt ist die Sprache der Nähe. Aber auch Eltern, die das so empfinden, reden mit ihren Kindern meist irgendeine Art von Hochdeutsch.“ So der Dialektforscher Hannes Scheutz. Doch Kinder, die Dialekt sprechen, haben keine Nachteile. Im Gegenteil: „Je mehr Sprachvarietäten ein Kind kennen lernt, desto besser ist dies für seine sprachliche und kognitive Entwicklung.“

Von Heidemarie Klabacher

Deutsch ist nicht gleich Deutsch. In Norddeutschland sterben die Dialekte tatsächlich aus. „Nur noch ältere Norddeutsche sprechen die traditionellen Dialekte.“ Gut um die deutschen Dialekte steht es hingegen in der Schweiz. „Denn dort spricht nahezu jeder – vom Professor bis zum Bauern, Jung und Alt – selbstverständlich im Dialekt“, sagt Stephan Elspaß, ein weiterer Salzburger Germanist und Dialektexperte. Österreich liegt dialektmäßig dazwischen, zwischen Aussterben und sich veränderndem Überleben. „Unabhängig davon, ob eine Sprache oder Sprachvarietät eifrig oder weniger eifrig gesprochen wird: mit veränderten Lebensbedingungen verändert sich auch die Sprache.“ Wie, das untersucht der Salzburger Germanist und Dialektforscher Hannes Scheutz seit Jahrzehnten an den Dialekten in verschiedenen Teilen Österreichs, im Alpenraum, in Salzburg, im salzburgisch-bayerischen Grenzgebiet, im Salzkammergut oder auch in Südtirol. Scheutz sammelt, analysiert und dokumentiert. Online abrufbar sind die Sprachproben in „sprechenden“ Dialekt-Atlanten, wie etwa www.sprachatlas.at.

„Die in den letzten Jahren radikal veränderten Begrüßungs- und Verabschiedungsformeln wie Hallo oder Tschüss sind ja mittlerweile Allgemeingut geworden. Das Aussterben alter Dialektwörter wird nicht nur von Sprachpflegern festgestellt“, sagt der Dialektforscher. Auch auf der Lautebene fänden sich weitreichende Neuerungen, so würden etwa angestammten Salzburger Formen durch Wienerisch-Ostösterreichische Formen abgelöst: „Wer kennt oder gar verwendet noch heute die bis vor wenigen Jahrzehnten hierzulande übliche Aussprache 'spiin' für 'spielen' oder 'stehen' für 'stellen'“, so Scheutz.

Tatsache sei, dass sich die Dialekte stark verändern und besonders in den nichtalpinen Gebieten rasant zurückgehen. „Man findet heute kaum mehr jemanden, der in einer Sprache sozialisiert worden ist und sich immer darin bewegt. Auch der alte Bauer im Dorf hat ein Kompetenzgemisch im Kopf und sagt, wenn man ihn fragt, einmal das eine, einmal das andere.“ So wie die Dialekte aufweichen, weichen aber auch die Normvorstellungen über die „korrekte“ Standardsprache, genannt „Hochdeutsch“, auf: „Man darf heute auch in einer formellen Situation wie zum Beispiel bei Amtsgeschäften oder bei Prüfungen an der Uni umgangssprachlich sprechen. Die Normvorstellungen erodieren.“

Die Projekte von Scheutz zum Sprachwandel erfassen vor allem Regionen des bairisch-österreichischen Sprachraums. Was bisher fehlte, war eine Gesamterhebung für Österreich. Diese Lücke soll im Rahmen des bereits 2015 gestarteten Gemeinschaftsprojekts „Deutsch in Österreich“ geschlossen werden. Neben der Universität Salzburg mit Stephan Elspaß und Hannes Scheutz werden die Universitäten Wien und Graz beteiligt sein: An bisalng vierzig Orten wurden zahlreiche Sprecherinnen und Sprecher aus jeweils zwei Altersgruppen befragt. Die Auswertung der Daten läuft noch. In einer zweiten Erhebungsphase werden hundert weitere Orte hinzukommen.

Kann der Dialekt, welcher auch immer, überhaupt überleben? Wird die Umgangssprache zwischen Berg und Tal, Ost und West irgendwann einmal überall gleich klingen? Die Gretchenfrage zum Thema Dialekte lautet: „Wie steht es um ihr Prestige?“ „Nicht zum Besten“, sagt Scheutz.

Der emotionale Aspekt bei Dialekten ist zwar sehr hoch. Dialekte vermitteln ein Heimatgefühl. Aber auch Eltern, die das so empfinden, reden mit ihren Kindern dann meist irgendeine Art von Hochdeutsch.“ Er vermute dahinter dahinter ein sprachliches Minderwertigkeitsgefühl in Bezug auf Dialekte. „Ich bin der Letzte, der sagt, man soll nicht perfekt Hochdeutsch sprechen und schreiben können. Natürlich soll man das. Aber es reicht, wenn man Hochdeutsch in den Kontexten verwendet, in denen es angezeigt ist. Dialekt ist die Sprache der Nähe – warum sollte er gerade in der Eltern-Kind-Kommunikation gemieden werden?“ Und das häufig vorgebrachte Argument, dass ein dialektsprechendes Kind schulische Nachteile habe, sei wissenschaftlich nicht haltbar. Im Gegenteil, betont der Forscher: „Je mehr Sprachvarietäten ein Kind kennen lernt, desto besser ist dies für seine sprachliche und kognitive Entwicklung.“

Das Image verschiedener Sprachvarietäten des Deutschen beschäftigt auch den Germanisten Stephan Elspaß. Im Projekt „Deutsch in den Köpfen“ untersucht er, welche Sprachvarietäten oder Akzente bei Lehrern und Schülern positiv besetzt, welche eher stigmatisiert sind und ob das möglicherweise die Wahrnehmung der Leistung von Schülern beeinflusst. Das österreichische Hochdeutsch habe  „generell kein Top-Image“: „Wenn man Versuchspersonen Sprachproben mit einem bundesdeutschen Sprecher und einem österreichischen Sprecher vorspielt, werden die bundesdeutschen Sprecher als die beurteilt, die ,am feinsten‘ Hochdeutsch sprechen.“ Was tun? Der Germanist Stephan Elspaß stamm vom Niederrhein aus dem Nordwesten Deutschlands. Er sagt: „Kinder sollten von den Lehrern nicht korrigiert werden, wenn sie in ihrer Muttersprache sprechen, egal in welcher Form des Hochdeutschen.“

Hier geht es zum Sprachatlas Alpenraum von Hannes Scheutz - www.sprachatlas.at
Bilder: www.sprachatlas.at

 

 

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