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Aus der „Stille Nacht“-Hölle

DOKUMENTATION / LIEDJUBILÄUM

20/09/18 Es sind zwar noch drei Monate und ein paar Tage hin, aber der Schreiber dieser Zeilen schwört: Die kommenden Weihnachten werden ohne einen einzigen Ton „Stille Nacht“ gefeiert! Und DrehPunktKultur verschont schon seit geraumer Zeit seine Leser bestmöglich vom Jubeljahr, das seit Monaten von einer medialen PR-Kanonade zugeknallt wird, die ihresgleichen sucht.

Von Reinhard Kriechbaum

Starker Schutz der Leser ist fürwahr nötig, wie eine Blütenlese der vergangenen Wochen und Monate bestätigt: Ende Juni schon ist die Jubiläums-Sondermarke herausgekommen: Sie zeigt eine Anbetung der Könige, von dem Halleiner Bildhauer Max Domenig 1936 für den Altar in der Oberndorfer Stille-Nacht-Kapelle geschaffen – damals hielt man so etwas für Kunst, und Philatelisten tun's offenbar nach wie vor.

„Haslauer: Auf digitalen Wegen zur Stillen Nacht“ schrieb die Landeskorrespondenz am 24. Juli, was aber in den ersten Festspieltagen niemanden wirklich bewegt hat. Es ging um die App „Wege zur Stillen Nacht“, den virtuellen Pfadfinder durchs Land.

Höchst emsig ist aus gegebenem Anlass natürlich Michael Neureiter, Präsident der Stille-Nacht-Gesellschaft. Am 20. August ließ er die Medien wissen, dass Joseph Mohr als Kurzzeit-Hilfspriester in Adnet eine Taufe und zwei Hochzeiten gehalten hat. Der Täufling hat die Amtshandlung leider nur drei Tage überlebt. Über die Dauer der beiden Ehen erfuhren wir nichts, wohl aber, dass die Trauzeugen des Schreibens unkundig waren und mit Kreuzerln unterschrieben haben.

Am 31. August ein Mail von der Landeskorrespondenz mit der Betreffszeile „Haslauer: Jubiläumsvorbereitungen in Mariapfarr im Endspurt“. Es geht ums neu gestaltete Pfarr-, Wallfahrts- und Stille Nacht-Museum. Dort gehört das Thema wirklich hin, Joseph Mohr war hier von 1815 bis 1817 Koadjutor (Kaplan) – und damals, 1816, hat er auch den Liedtext geschrieben.

Seit zwei Wochen wird permanent PR-gefeuert. 4. Oktober: Der Servus-Verlag kann an „Stille Nacht“ natürlich nicht vorbei gehen und kündigt das Buch mit eben diesem Titel von Tina Breckwoldt an. Es kommt heute, Donnerstag, in den Handel. Die Autorin ist PR-Dame und Dramaturgin der Wiener Sängerknaben.

Der 5. September brachte viel Wahrhaftigkeit: „Stille-Nacht-Friedensbotschaft in Silber geprägt“, so die Landeskorrespondenz-Topmeldung des Tages. Diese Versilberung verwundert überhaupt nicht, denn um den Mammon geht es ja, auch wenn Landeshauptmann Haslauer in so gut wie jeder Meldung zum Thema hinausposaunt: „Stille Nacht gilt als universale Friedensbotschaft.“ 20 Euro ist der Nominalwert des Silberlings, maximal 30.000 Stück werden aufgelegt, und bei der Münze Österreich weiß man „von einer großen Nachfrage nach der ganz besonderen Jubiläumsmünze von den USA bis nach Südkorea, von China bis Deutschland, aber natürlich auch in Österreich“. Das Motiv: die Stille-Nacht-Kapelle in einer verschneiten Landschaft, Sternenhimmel, und auf der Rückseite die Weihnachtskrippe, vor der „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ das erste Mal erklungen ist.

Am 9. September meldet sich wieder die Stille-Nacht-Gesellschaft zu Wort und berichtet von einem neuen „Netzwerk Stille Nacht Pfarren“: Es soll „für die pastorale Praxis in den Pfarren eine Fundgrube für Ansprachen, Bildungsveranstaltungen, Pfarrblätter usw. aufbauen und Materialien aus den Pfarren zusammenführen“. Das „Netzwerk Stille Nacht Pfarren“ sei auch als Projekt des „Zukunftsprozesses 2018“ der Erzdiözese Salzburg ausgewählt worden.

10. September: Die Landeskorrespondenz berichtet über eine Wanderausstellung, Schautafeln mit „historisch gesicherten Informationen über das Lied, seine Verbreitung, seine beiden Schöpfer Joseph Mohr und Franz Xaver Gruber sowie über die Stille Nacht-Museen im Bundesland Salzburg“. Sie werden über das Außenministerium den österreichischen Botschaften und Kulturinstituten weltweit zur Verfügung gestellt und können „entweder für eine Ausstellung verwendet oder ganz einfach und schnell als Basisinformation zum Weiterverteilen ausgedruckt werden“. Die sechs Seiten beziehungsweise Tafeln gibt es derzeit in Deutsch, Englisch, Spanisch, Italienisch und Arabisch. Bei Bedarf sollen noch weitere Sprachen dazukommen. Bisher fixierte Präsentationsorte: Bogota in Kolumbien, Rom, Bethlehem (dort in Arabisch, wieso eigentlich nicht in Hebräisch?), Belgrad, Bangkok, Luxemburg.

Am selben Tag meldet der Gmeiner Verlag, dass Manfred Baumann kurzfristig die Giftkräuter-Schiene verlassen und einen Heimatkrimi mit dem Titel „Das Stille Nacht Geheimnis“ geschrieben hat. Mordopfer ist ein Journalist, den es des Liedes wegen nach Oberndorf getrieben hat. Gefährlich, das hätten wir ihm schon vorher sagen können. Der Krimi erscheint am 4. Oktober

„Coole Friedensbotschaft rollt durch das Land“ meldet die Landeskorrespondenz am 14. September – warum sollte nicht auch ein Bus der Firma Blaguss Vorderegger-Bus nicht in den Dienst der Sache gestellt werden? „Erstmals eingesetzt wird das kunstvoll gestaltete Verkehrsmittel rund um den großen EU-Gipfel.“ Und dann ungefähr zwei weitere Jahre lang. Hinter dieser Aktion stand ein Zeichenwettbewerb für Volksschulkinder aus Stille-Nacht-Gemeinden. „Die Friedensidee und die Marketingchancen für das Land Salzburg reichen sich hier die Hand“, lässt sich Paul Estrela, Geschäftsführer der Stille Nacht GesmbH, zitieren.

Gestern Mittwoch (19.9.) Highnoon in Oberndorf: Da gab es eine Pressekonferenz mit dem Landeshauptmann, sozusagen das letzte Medien-Geklapper, bevor nächste Woche die auf neun Orte verteilte Landesausstellung eröffnet wird. Schon jetzt wurde die Begleitpublikation zur Ausstellung vorgestellt, im Auftrag der Stille-Nacht-Gesellschaft im Anton Pustet Verlag erschienen: „Stille Nacht. Das Buch zum Lied“, herausgegeben von Thomas Hochradner und Michael Neureiter.

Die Landesausstellung dauert von 29. September bis 3. Februar 2019, am 29. und 30. September sind Tage der offenen Tür an allen Ausstellungsorten (die Museen in Oberndorf, Hallein, Wagrain und Mariapfarr sind neu gestaltet).

Darüber wird zu berichten sein – aber wir verordnen uns vorerst ein „Stille Nacht“-Schweigen, schauen uns die Dinge in Ruhe und kritisch an, werden auch die Bücher genau lesen und uns eher dann dazu äußern, wenn Weihnachten dräut. Und die Noten? Sie bleiben heuer unaufgeschlagen. Zur Nerven- und Ohrenschonung.

Die Landesausstellung „Stille Nacht 200. Geschichte. Botschaft. Gegenwart“ (ab 29.9.) ist disloziert auf die Orte Salzburg, Oberndorf, Hallein, Hochburg-Ach in Oberösterreich, Arnsdorf, Mariapfarr, Hintersee, Wagrain und Fügen im Zillertal (Tirol). Die einzelnen Museen haben unterschiedliche Öffnungszeiten, alle haben aber zumindest von Dienstag bis Sonntag, 14 bis 17 Uhr offen. Das Kombiticket kostet 18 Euro, dazu gibt es außerdem ein Gratis-SVV-Tagesticket – www.landesausstellung2018.at
„Stille Nacht. Das Buch zum Lied“ (hrsg. von Thomas Hochradner und Michael Neureiter) ist bei Pustet erschienen und kostet 29 Euro. Die englische Version heißt Silent Night. A Companion to the Song – www.pustet.at
24 Euro kostet das Büchlein Stille Nacht von Tina Breckwoldt – www.servus-buch.at
Der Krimi „Das Stille Nacht Geheimnis“ von Manfred Baumann (14 Euro) erscheint im Gmeiner-Verlag
Bilder: LMZ / Gabriel Rizar (1); Franz Neumayr (1);

 

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