Von Anfang und Ende des Zeitalters der Menschen
DOKUMENTATION / KULTURPREISVERLEIHUNG / FESTREDE
14/12/16 Zeichnet sich das Ende des Menschen auf dieser Erde ab, und wird der Mensch den Bach runter gegangen sein, bevor es um das Universum selbst geschehen sein wird? Die Phantasie könnte das Mittel sein, den Ruin des Anthropozäns zumindest hinauszuzögern. Darauf ließ die Festrede der Umwelt-Historikerin Verena Winiwarter gestern Dienstag (13.12.) bei der Kulturpreisverleihung in Salzburg hinaus.
Von Verena Winiwarter
Der britische Autor Douglas Adams erzählte 1980 in der mehrbändigen Science-Fiction-Reihe „Per Anhalter durch die Galaxis“ vom Restaurant am Ende des Universums. Milliways liegt, das ist der originelle Gedanke, am zeitlichen Ende des Universums. Sollte es jemandem möglich sein, heutzutage auch nur einen Cent auf ein Konto bei Milliways einzuzahlen, hatte er nach mehreren Milliarden Jahren genug angespart, um opulent zu essen und zu trinken und dabei dem dramatischen Ende des Universums zuzusehen. Adams liefert damit eine ironische Abrechnung mit der Unterhaltungskultur, in der alles, inklusive dem Weltuntergang, zu Zeitvertreib und Nervenkitzel werden kann. Er nimmt dabei implizit an, dass es auch am Ende des Universums noch Menschen geben werde. Das war 1980.
2003 publizierten Manfred Hamm und der kürzlich tragisch verstorbene Umwelthistoriker Rolf-Peter Sieferle den Fotoband „Die antiken Stätten von Morgen. Ruinen des Industriezeitalters.“ Alan Weismans Buch „Die Welt ohne uns. Reise über eine unbevölkerte Erde“ erschien 2007. Im Gegensatz zu früheren Dystopien wie Aldous Huxleys „Schöne, neue Welt“ oder Orwells „1984“ geht es in diesen beiden Werken um eine Erde ohne Menschen.
Der mit Charlton Heston in der Hauptrolle 1973 unter dem Titel „Jahr 2022 … die uberleben wollen“ (Originaltitel: Soylent Green) in die Kinos gelangte Science-Fiction-Film thematisiert – quasi auf halbem Weg zur menschenlosen Erde – industrielle Kannibalisierung der Menschheit. Das Massen-Nahrungsmittel Soylent Green, dessen Name auf Soja und Linsen hinzudeuten scheint, ist Menschenfleisch.
Jüngst haben nun die Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes und ihr Fachkollege Eric Conway zum Mittel der Science-Fiction gegriffen, um eindringlich klar zu machen, was sie zuvor in der wissenschaftlichen Literatur trocken beschrieben hatten: Eine Gesellschaft, die auf fossil-nuklearer Grundlage lebt, kann nicht dauerhaft bestehen. Im Geleitwort schreiben die beiden: „Unser Zukunftshistoriker, der in der Zweiten Volksrepublik China lebt, schildert hier die Ereignisse des Penumbrischen Zeitalters, des 'Zeitalters des Halbschattens' (1988–2093), an dessen Ende schließlich der Große Kollaps stand […].“
Lassen Sie uns nun von der Populärkultur und deren wissenschaftlichem Ausläufer weg und hin zur Wissenschaft blicken: Die Internationale Geologische Gesellschaft hat eine Kommission zur Stratigraphie des Quartärs (in dem wir uns befinden) eingerichtet. Dort wird hingebungsvoll über den Beginn des Zeitalters der Menschen, des Anthropozäns, diskutiert. Wann wurden die Menschen zu einer geologischen Kraft? An welchen Spuren in den Sedimenten werden die GeologInnen der Zukunft erkennen, dass Menschen gelebt und die Erde verändert haben? Wichtige Fragen, zweifellos. Das Anthropozän konnte mit dem ersten Atombombentest angefangen haben oder schon mit der Entwicklung der Landwirtschaft, 10.000 Jahre früher, die industrielle Revolution um 1850 ist ein ebenso heißer Kandidat.
Doch ich will hier einen anderen Gedanken aufgreifen: Das Anthropozän hat sich in unsere Körper eingeschrieben, die meisten von uns haben „Post-Bomb-Bodies“: Aufgrund der oberirdischen Atomwaffentests haben wir höhere Konzentrationen des radioaktiven Kohlenstoffisotops 14C im Zahnschmelz als Menschen, die früher gelebt haben. Das Zeitalter der Menschen hat diese gezeichnet.
Als Mensch, als Mutter, als Lehrende, die viel mit jungen Menschen zu tun hat, interessiert mich der Beginn des Anthropozäns weniger als die Verhinderung seines Endes durch Aussterben der Menschen. Es wäre, so meine ich, erfreulich, wenn das Anthropozän nicht auf diese Weise endete. Dafür bedarf es kollektiver Handlungsfähigkeit, bedarf es einer Gesellschaft, die gegenüber den heimtückischen Problemen, die sie geschaffen hat, nicht kapituliert, sondern aushandelt, wie damit bestmöglich umgegangen werden kann.
Die Lage ist ernst, nicht nur, was den globalen Klimawandel angeht. Wir überschreiten viele Grenzen des Planeten. Die Versiegelung, Erosion und Vergiftung von Boden, die massiven Eingriffe, die wir in die natürlichen Kreisläufe unternehmen, das dramatische Artensterben, das wir verursachen und die Versauerung der Ozeane sind besorgniserregend. Alles, was getan werden kann, sollte, ja muss getan werden, wenn wir das Ende des Anthropozäns hinauszögern wollen. Doch worauf konnten wir bauen, bei diesem dringend nötigen Tun?
Der Philosoph Günther Anders (1902−1992) diagnostizierte 1956 in seinem epochalen Werk von der Antiquiertheit des Menschen einen Mangel an Phantasie: Das Vermögen der Menschen, etwas herzustellen, sei ungleich größer als ihr Vermögen, sich die Konsequenzen dieser Herstellung ebenfalls vorzustellen. Er fand „Apokalypse-Blindheit“ angesichts der atomaren Bedrohung. Spätere Generationen werden die Phantasie der eingangs erwähnten Autoren und Filmemacher vielleicht als wichtige Pionierleistungen der Überwindung von Apokalypse-Blindheit betrachten.
Der interdisziplinär denkende, 1922 geborene griechisch-französische Philosoph und Psychoanalytiker Cornelius Castoriadis hat der Phantasie (er benutzt lieber den Begriff „Imagination“) gesellschaftsbildende Kraft zugeschrieben. In freier und kreativer psychischer Tätigkeit, jenseits der Unterscheidungen von Theorie und Praxis, aber auch jenseits der Logik, entstehen durch radikale Imagination neue Formen, neue Wesen. Es geht um qualitativ Neues, nicht nur um Fortschreibungen existierender Ideen. Aus dieser schöpferischen Tätigkeit der Psyche speist sich die gesellschaftliche Realität. Bedeutsam für das Ende des Anthropozäns ist seine Diagnose, dass die Menschen kein Bewusstsein davon haben, dass sie selbst Ursprung der gesellschaftlichen Institutionen sind, die sie als fremde und objektive Machte erleben, denen sie unterworfen sind. Weil wir uns dessen nicht bewusst sind, unterwerfen wir uns, statt kraft unserer Phantasie eine andere gesellschaftliche Realität zu erschaffen.
Eine Anleitung dazu, wie das gehen konnte, hat ein anderer großer Denker, der Schriftsteller Michael Ende, 1979 verfasst. Der phantasievolle Leser Bastian Balthasar Bux rettet das vom Nichts bedrohte Phantasien, indem er der Kindlichen Kaiserin einen Namen gibt: Mondenkind. Doch dann muss er zwischen Phantasie und Erinnerung eine Balance finden, um mit der in der Phantasiewelt gewonnenen Kraft die Erde zum Positiven zu verändern. Eine unendliche Geschichte statt dem Ende des Anthropozäns? Ja, dafür plädiere ich – allerdings als gemeinsamer Akt von vielen, nicht als einsame Reise.
Die Wissenschaft verfügt über sehr viele Daten und Modelle, aber ihre politische, gesellschaftliche Wirksamkeit ist gering. Es sind die Mittel der Kunst, die es uns erlauben, jene Phantasie(n) zu kultivieren, die wir brauchen, um handlungs- und aushandlungsfähig zu werden. Miteinander, jenseits disziplinärer und anderer Demarkationslinien, können wir uns auf den Weg aus dem Zeitalter des Halbschattens machen.
Verena Winiwarter ist seit 2007 Universitätsprofessorin für Umweltgeschichte an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und Österreichs „Wissenschaftlerin des Jahres 2013“. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Umweltgeschichte von Agrargesellschaften und die Umweltgeschichte Österreichs sowie die Wissenschaftstheorie inter- und transdisziplinärer Forschung. Den hier dokumentierten Festvortrag hielt sie am Dienstag (13.12.) anlässlich der Kulturpreisverleihung des Landes Salzburg in der Salzburger Residenz. Die Rede ist abgedruckt im Kulturbericht des Landes 2016.