Bibliotheks-Ruhe?
KOMMENTAR
Von Christina Repolust
27/10/14 Kürzlich gab ein Lehrervertreter zum Besten, dass sich ausgebrannte Kolleginnen und Kollegen bereit erklärt hätten, überall eingesetzt zu werden, auch in einer Bibliothek. Nur ruhig solle es am neuen Arbeitsplatz sein. Das ist ein Hilfeschrei, der als solcher zu hören ist.
Diesem antiquierten Bild einer Bibliothek – oder war hier das Lesezimmer einer Fachbibliothek gemeint? – ist jedoch laut und deutlich zu widersprechen. Vom 20. bis 26. Oktober fand in Österreichs Bibliotheken die Aktionswoche „Österreich liest – Treffpunkt Bibliothek“ statt: Das ist das größte Lesefestival in Österreich. Man kann es nur durchführen, weil sich die weit über 1000 Öffentlichen, großteils ehrenamtlich geführten Bibliotheken dazu bereit erklären, auf Ruhe zwischen den Regalen zu pfeifen.
40.000 Veranstaltungen pro Jahr erzählen außerdem davon, dass hier Literaturvermittlung aktiv betrieben wird: Krabbelkinder, Kindergartengruppen, Schulklassen – die sind laut, wuselig und dann natürlich auch bereit, ihre Konzentration einem Bilderbuch und seiner Vermittlung zu schenken. Dann noch Poetry Slams, Lesungen und Vorträge für Jugendliche und Erwachsene: Immer kommen Menschen, die neben der Literatur auch das Gespräch suchen, in die Öffentlichen Bibliotheken.
Ruhe? Ja, an manchen Tagen ist es auch ruhig, aber eben nur an manchen. Wenn man die Aufgabe, gesellschaftliche Teilhabe für alle zu ermöglichen, ernst nimmt, muss Literaturvermittlung im öffentlichen Raum stattfinden. Lesen und Kuscheln gehört manchmal, aber nicht immer zusammen: Inhalte zu er- und hinterfragen, gemeinsam über eine Geschichte laut nachdenken, sich mit der Ästhetik und Wirkmächtigkeit außergewöhnlicher Illustrationen beispielsweise eines Wolf Erlbruchs offen auseinanderzusetzen, das ist professionelle, öffentliche Auseinandersetzung mit Literatur.
Früher einmal sprach man von Entlehnzeiten. Medien, damals waren es zumeist nur Bücher, wurden zurückgegeben, neue mitgenommen: manchmal sogar noch an der so genannten Theke. Jetzt spricht man von Öffnungszeiten. Damit machen Bibliotheken ihrem Vorsatz, Treffpunkt und der so genannte dritte Ort zwischen Arbeitsplatz und dem eigenen Zuhause sein zu wollen, alle Ehre. Die einen Besucher recherchieren am PC, die anderen lesen Zeitungen/Zeitschriften, dazwischen einige Schülerinnen und Schüler, die hier ihre Hausaufgaben machen. Eine DVD, das neue Sachbuch über Ernährung, das Pappbilderbuch mit dem roten Fuchs: So geht es während der Öffnungszeiten zu. Recherche, Verwaltung, der Blick über den PC hin zur Kinderecke, wo eine Freiwillige immer am Sonntag Kindern vorliest. Auch hier muss es nicht leise sein, Kinder stellen ihre Fragen, wiederholen den Nonsense-Reim und rufen einstimmig ihr „nocheinmal“.
Ausgebrannten Pädagoginnen und Pädagogen muss Unterstützung, müssen Alternativen zur Schule angeboten werden. Die Bibliothek ist aber keine Alternative zum Gewusel in den Gängen, zur ständigen Verfügbarkeit, die das System und die Menschen darin den Lehrerinnen und Lehrern abverlangt. Auch in Archiven tummeln sich Interessierte, die Ahnenforschung betreiben. Wer in Diskussionen Bilder bemüht – „ruhig wie in einer Bibliothek“ – sollte davor genau hinschauen, -gehen und -hören.