„Protagonisten am Siedepunkt“
FESTSPIELE 2024 / DIE OPER
07/12/23 Nein-Sagen zu einer Welt, in der man nicht zu recht kommt, weil sie dem Menschen Normen abverlangt, die er nicht erfüllen will: Diese Verweigerung teilen Don Giovanni und Titus von Mozart mit dem Weinberg'schen Idioten und dem Prokofief'schen Spieler. Das Opernprogramm bringt „Protagonisten am Siedepunkt“.
Von Heidemarie Klabacher
Der Spieler von Sergej Prokofjew steht zum ersten Mal auf einem Festspielprogamm. Erzählt werde vom Versuch, eine Existenz zu retten, wissend dass man sie zerstören wird: „Er spielt um sein Leben, aber auch um das vieler anderer.“ Für Markus Hinterhäuser ist der Spieler aus dem zugrunde liegenden Roman von Dostojewski eine Art Archtyp. Spieler sitzen nicht nur am Roulett- oder Kartentisch: „Sie spielen mit der Welt. Spielen mit uns. Spielen an der Börse und reißen die anderen mit in den Abgrund.“ Rene Benko sei so ein Spieler gewesen, dem – viel zu spät „alles zusammengebrochen ist.
Der Spieler ist die erste große Oper von Sergej Prokofjew, mit der zum ersten Mal ein Werk Dostojewskis für die Opernbühne adaptiert wurde. Uraufgeführt wurde sie 1929 aufgrund politischer Wirren zunächst in Brüssel in französischer Sprache. Die erste russische Produktion fand erst 1974, beinahe 20 Jahre nach dem Tod des Komponisten statt. 2023 führt Peter Sellars Regie. Es singen Peixin Chen, Asmik Grigorian, Sean Panikkar und Violeta Urmana. Timur Zangiev gibt sein Debüt bei den Salzburger Festspielen und am Pult der Wiener Philharmoniker. Die Premiere der Neuinszenierung ist am 12. August in der Felsenreitschule statt. Fünf weitere Aufführungen folgen bis 28. August.
Mieczysław Weinberg ist nun auch bei den Festspielen angekommen. Der von Flucht zerrissene Lebenslauf des Komponisten sei, so Markus Hinterhäuser, „paradigmatisch für die katastrophale Geschichte es 20. Jahrhunderts“. Dessen siebte Oper, Der Idiot, basierend auf dem Roman von Dostojewskis, erzähle die „Utopie des reinen Menschen“, „des Mystikers, der an das Gute glaubt“, so Hinterhäuser. Diese Oper wird erstmals den Salzburger Festspielen aufgeführt. Zum vierten Mal in Salzburg Regie führen wird damit der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski. Mirga Gražinytė-Tyla dirigiert die Wiener Philharmoniker. Premiere der Neuinszenierung ist am 2. August in der Felsenreitschule. Vier weitere Aufführungen folgen bis 23. August.
Auch Mozarts Oper La Clemenza di Tito erzähle von einer Revolte, so Intendant Markus Hinterhäuser: „Der Kaiser vergibt.“ In einer „unglaublich großen Geste, die weit weg von allem ist, was sonst politische Geste ist“. Tito die die Übernahmen von Pfingsten. Premiere der Wiederaufnahme ist am 1. August im Haus für Mozart. Fünf weitere Aufführungen folgenbis 13. August.
Jacques Offenbach Les Contes d' Hoffmann sei „jenes kuriose Fragment, das man immer neu zusammensetzen muss“. Die Oper spielt während einer Don Giovanni-aufführung: „Don Giovanni ist der aktive Held, Hoffmann der schwärmerische passive.“ Eine Herausforderung sei es, den Frauenfiguren gerecht zu werden, sagte in einer Zuspielung zum Pressegespräch am Mittoch (6.12.) die französische Regisseurin Mariame Clément, die mit der Opéra fantastique erstmals bei den Salzburger Festspielen inszeniert. Benjamin Bernheim singt die Titelrolle. Kathryn Lewek verkörpert die Frauenrollen, samt der „stummen“ Rolle der Stella. In einer weiteren Vierfach-Rolle singt Christian Van Horn die Partien des Lindorf, des Coppélius, von Le docteur Miracle und des Dapertutto. Es spielen die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Marc Minkowski. Premiere der Neuinszenierung ist am 13. August im Großen Festspielhaus. Fünf weitere Aufführungen folgen bis 30. August.
Die Frage nach dem Sinn werde in Mozart Don Giovanni so extrem gestellt, „dass man sie nur extrem beantworten kann“. Romeo Castellucci werde in dieser Wiederaufnahme seine Arbeit „neu überdenken, an der Neudeutung des Mythos arbeiten. „Auch hier habe wir eine Revolte – eine Revolte gegen eine Welt ohne Liebe, die Verweigerung der Realität“, so Hinterhäuser. Davide Luciano singt die Titelpartie, Nadezhda Pavlova singt die Donna Anna, Federica Lombardi (Teilnehmerin am Young Singers Project 2015) die Donna Elvira, Julian Prégardien den Don Ottavio. Teodor Currentzis leitet das Utopia Orchestra und den Utopia Choir. Premiere der Neueinstudierung ist am 28. Juli im Großen Festspielhaus. Fünf weitere Aufführungen folgen bis 19. August.
Gespannt sein kann man auf die Begegnung mit den konzertanten Opern. Ambroise Thomas Hamlet erzählt von dessen Rache und deren Auswirkungen auf Ophelia. Es singen Stéphane Degout und Lisette Oropesa. Bertrand de Billy leitet das Mozarteumorchester Salzburg und den Philharmonia Chor Wien. Die konzertanten Aufführungen sind am 16. und 19. August in der Felsenreitschule zu hören.
Richard Strauss’ letztes Bühnenwerk, Capriccio, verhandelt das Verhältnis von Wort zu Ton. Die Handlung verquickt eine ästhetische Debatte mit der Rivalität des Dichters Olivier und des Musikers Flamand, die im Paris des Jahres 1775 um die Gräfin Madeleine werben. Es singen Elsa Dreisig und Bo Skovhus als Gräfin und Graf, Sebastian Kohlhepp, Konstantin Krimmel oder Regula Mühlemann. Christian Thielemann dirigiert die Wiener Philharmoniker in vier konzertanten Aufführungen zwischen 26. Juli und 4. August im Großen Festspielhaus.
Luigi Dallapiccolas Il prigioniero und Luigi Nono Il canto sospeso erklingen in einer konzertanten Aufführung am 25. Juli in der Felsenreitschule. In seiner Oper Koma, 2016 in Schwetzingen uraufgeführt, beschwört Georg Friedrich Haas den Zustand einer hirntraumatisierten Patientin zwischen Leben und Tod nach einem Libretto von Händl Klaus. Sarah Aristidou singt die Michaela. Bas Wiegers leitet das Klangforum Wien bei einer konzertanten Aufführung am 24. Juli im Großen Saal der Stiftung Mozarteum. Ebenfalls nur eine Aufführung, am 29. Juli in der Kollegienkirche, ist für Beat Furrers Oper Begehren auf Texte von Cesare Pavese, Günter Eich, Ovid und Vergil vorgesehen. „Schatten“ ist das erste Wort - „und aus dem Schatten treten die Klänge hervor“.
www.salzburgerfestspiele.at
Bild: SFS / www.neumayr.cc
Die Salzburger Festspiele 2024 – Revolten - nach außen und innen
Festspiele 2024 – Schauspiel – Endlich mit-tanzen!
Festspiele 2024 – Ouverture spirituelle – Aus der Tiefe die Hoffnung...
Festspiele 2024 – Konzerte – Viele Jubliäen und Mozarts Clavichord