Triumph des Leisen
FESTSPIELE / THE INDIAN QUEEN
01/08/23 Es ist eine Art Requiem für eine untergegangene Kultur und die im Namen des Christentums begangenen kolonialen Verbrechen: Die Semi-Opera The Indian Queen ist der unvollendete Schwanengesang des früh verstorbenen englischen Barockmeisters Henry Purcell. Die schon 2013/16 entstandene abendfüllende Fassung von Peter Sellars wurde nun in der Felsenreitschule zum bejubelten Ereignis.
Von Gottfried Franz Kasparek
Die im Original wüste Liebes-und Intrigengeschichte über einen fiktiven Krieg zwischen Inkas und Azteken läuft als konzertante Aufführung, beweist aber wieder einmal, wie schlüssig großes Theater mit einfachsten Mitteln sich ereignen kann. Die Legende von einer als Spionin ins feindliche spanische Lager geschickten Aztekenprinzessin wird in einer Version, die auf einem Roman der nicaraguanischen Dichterin Rosario Aquilar beruht, zum tief berührenden Drama einer starken Frau. Prinzessin Teculihuatzin erlebt eine stürmische, letztlich tragische Liebesgeschichte mit dem Eroberer Don Pedro de Alvarado. Sellars und der musikalische Leiter Teodor Currentzis haben das nur einstündige Fragment mit anderer Musik Purcells, vor allem geistlicher, stimmig verbunden. Dabei bleibt die fünfaktige Form der Semi-Opera mit Prolog, Sprechszenen, Arien allegorischer Figuren, Tänzen und Chören in Umrissen erhalten, die Hauptrollen erhalten jedoch auch sängerisches Gewicht.
Für barocke Verhältnisse sehr groß besetzt sind Utopia Orchestra und Utopia Choir Auf einer atmosphärisch ausgeleuchteten Spielfläche und mit den Raum einbeziehender stimmungsvoller Lichtregie findet in der Tat ein Drama statt. Am rechten Rand sitzt als einzige Mitwirkende mit Mikrophon die französische Schauspielerin Amira Casar, die in allerbestem Bühnen-Englisch die Handlung erzählt, dabei mitunter in die Frauenrollen schlüpfend. Sie vollbringt wahre Wunderdinge an feiner Nuancierung.
Überhaupt ist der Abend ein Triumph des Leisen, des Innigen, der stillen Trauer, oft an der Grenze des Hörbaren landend, doch immer von großer Emotion erfüllt. Peter Sellars ist, manchmal mit ergreifender Naivität, ein Meister der szenischen Einfachheit. Dabei spielt auch der diesmal ganz unprätentiös auftretende, priesterlich ernst wirkende und jedes Detail der wundersamen Musik liebevoll nachzeichnende Teodor Currentzis eine wesentliche Rolle. Er holt aus Orchester und Chor betörende Klänge hervor, kundig unterstützt von der Chorleitung (Vitaly Polonsky und Evgeny Vorobyov). Er modelliert liebevoll den Gesang, lässt die Tänze dazwischen prächtig aufrauschen, aber nie knallen, die Klagegesänge sensibel leuchten.
Originalklang? Ja, alte Instrumente, Lyra, Violone, Theorbe und Cembalo tragen dazu das Ihrige perfekt bei. Zehn erste Violinen und so weiter, natürlich mit Darmsaiten, verblüffen zunächst. Aber hätte nicht auch Purcell angesichts einer Felsenreitschule sein Orchester entsprechend aufgestockt? Wir wissen, dass dies damals in Kathedralen geschah. Das Ergebnis ist in jedem Takt zwingend. Jeanine De Bique aus Trinidad spielt auch darstellerisch wahrlich schlicht und ergreifend die Hauptrolle der Teculihuatzin und singt mit herrlich klarem, lyrisch eindringlichem Sopran die Lieder der Liebe und des Leids, die kaum wer anderer im Barock so herzergreifend und im besten Sinne volkstümlich in Töne setzen konnte, wie Henry Purcell. Rachel Redmond hat es als vernachlässigte spanische Gouverneursgattin mit schön fülligem Sopran im Frauenleben nicht viel leichter als die aristokratische Indianerin. Ja, so werden die indigenen Völker der Maya und Azteken im Text genannt, auch in den deutschen Übertiteln, ebenso wie das englische „race“ mutig und nie irgendwie diskriminierend mit „Rasse“ übersetzt wird.
Jarrett Ott, im Gegensatz zu den dunklen Frauen groß, blond und sehr weiß, zeichnet den zwischen Brutalität und Zärtlichkeit zerbrechenden Don Pedro als Figur ebenso schlüssig wie in einer exquisiten Belcanto-Baritonarie. Julian Prégardien, eine tenorale Luxusbesetzung für den von Skrupeln gequälten Eroberer Don Pedrarias Dávila, steht ihm als Persönlichkeit nicht nach. Der jungenhafte Sopranist Dennis Orellana (in bester Erinnerung von La finta giardiniera im Vorjahr im Salzburger Landestheater) und der würdevolle Countertenor Andrey Nemzer treten mit balsamischer Stimmkultur als führende Azteken auf. Eine wahre Entdeckung ist der erstmals in Europa auftretende afroamerikanische Bassist Nicholas Newton als Maya-Schamane mit raumfüllend edlem Timbre, kultivierter Stimmführung und echter Persönlichkeit – da bahnt sich eine große Karriere an, durchaus mit Verdi und Wagner. Was mit den Tänzen und Hornpipes, illustrierend die Schöpfungsgeschichte der Mayas, recht schwungvoll begonnen hatte, endete nach gut dreieinhalb beglückenden Stunden mit einer Pause mit einem mitternächtlichen Trauergesang des Schamanen, der in der Stille eines finsteren Waldes verklingt. Da steht die soeben in eine bessere Welt entschwundene Prinzessin auf und beschwört stumm mit erhobenen Händen das Licht der Hoffnung. Es möge nicht verlöschen.
Eine weitere Aufführung am Mittwoch (2.8.) – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Marco Borrelli