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Wahnsinn, nein: Lautstärke-Trauma

FESTSPIELE / LUCIA DI LAMMERMOOR

26/08/22 Der Gedanke des Opfers zog sich von Beginn, ab der Ouverture spirituelle durch diese Festspiele. Frauen als Opfer auf der Opernbühne: Judith bei Bartók in Herzog Blaubarts Burg, Káťa Kabanová bei Janácek, Aida bei Verdi. Sie alle kann man noch toppen durch Lucia di Lammermoor.

Von Reinhard Kriechbaum

Sir Walter Scott hat ja eine geradezu unglaubliche Schauerstory geliefert. Lucia soll persönlicher Besitz- und politischer Machtverhältnisse zuliebe durch Heirat verschachert werden. Da wird nicht lange gefackelt in der Männerwelt: Enrico (Lucias Bruder) bestimmt, wo's langgehen soll, der Geistliche Raimondo bestärkt ihn. Sogar das Volk ist im ersten Bild von Donizettis Oper auf eine Männermasse reduziert – die Herren berichten von Lucias verborgener Liebe zum Sohn des einstigen Gutsherrn, Edgardo.

Abgesehen von einer gelegentlichen Stichwortbringerin steht Lucia als Frau völlig allein und ohne Perspektive da mit ihren Träumen und ihrem „Wahnsinn“, für den das Wort Traumatisierung eher angebracht wäre. Dass Donizetti ihr die tollsten Arien geschenkt hat in einem durch und durch martialischem Männer-Umfeld, ist wahrscheinlich eines der Erfolgsrezepte dieser Oper.

Lucia di Lammermoor also konzertant am Donnerstag (25.8.) im Großen Festspielhaus. So etwas kann man – kulinarisch – als ein Belcanto-Fest aufziehen, als sängerischen Selbstzweck. Oder man nutzt (und das stünde Festspielen gut an) die Gelegenheit, das Werk, seine Musik, seine Inhalte, seine Ideologie auf den Prüfstand zu stellen. Dazu braucht's dann nicht nur Sängerinnen und Sänger, sondern auch einen Dirigenten, der mehr liefert als kapellmeisterliche Gewandtheit.

Solche hat Daniele Rustioni, und er verknüpft sie mit sportiven Fähigkeiten: Pult-Hochsprung mit rhythmisch punktgenau beidbeiniger Landung heißt diese noch nicht olympische Disziplin. Fast schade, solchen Sportsgeist sonst im Orchestergraben zu versenken. Rustoni lieferte jedenfalls eine optisch ansehnliche Performance, die allerdings dem Mozarteumorchester nicht wirklich weiter geholfen hat.

Da wäre noch viel rauszuholen gewesen an modelliertem Klang, an Schattierungen, auch an Bläser-Idiomatik. Aber dann doch: Soloflöte, -oboe und das in der Lucia nicht wenig geforderte Horn-Corps haben geleistet, was in dem tendenziell zu phonstarken Umfeld möglich war.

Letztlich galt das auch fürs Sängerensemble. Da waren samt und sonders Leute am Werk, die so viel Lucia-Erfahrung haben, dass sie auch auf sich allein gestellt reüssieren können. Ludovic Tèzier als Enrico taugt allemal als viril auftrumpfender Frauenseelen-Töter und fand zwei Akte lang im dunklen Bass von Roberto Tagliavini (Raimondo) testosteronstarke Schützenhilfe. Aber Tagliavini wusste dann doch die Optionen im dritten Akt zu nutzen. Da erkennt Raimondo, der Priester, ja doch die Folgen dessen, was in Lucias Innenleben angerichtet wurde.

Das Opfer Lucia in Gestalt der jungen Amerikanerin Lisette Oropesa: Ihr blieb im ersten Akt nicht viel übrig, als das Dauer-Forte mit Kraft und einer gewissen Schärfe zu parieren.

Das müsste, dürfte nicht so sein. Lucia ist ja eigentlich eine, die wegen Aussichtslosigkeit alsbald in Melancholie und Traum sinkt. Im dritten Akt dann die „Wahnsinns-Arie“, hier vorbildhaft mit elektronisch ultra-dezent verstärkter Glasharmonika (Christa Schönfeldinger) und – endlich – auch mit der nötigen Leisheit im Orchester. Da konnte man erahnen, was diese Sängerin an Ausdruck zu liefern imstande wäre, wenn ihr ein Dirigent von Anfang an zuarbeitete.

Benjamin Bernheim als Edgardo: Das ist ein Tenor, der völlig unirritiert vom Umfeld seinen Schmelz entfaltet, unangefochten von allen Widrigkeiten jede Höhe nimmt und die Oper so zu ihrem stimmig-letalen Ende bringt. Gut behauptet hat sich der von Walter Zeh einstudierte Philharmonia Chor Wien – dem Werk entsprechend mit zahlenmäßig in den Männerstimmen weit überproportionierter Besetzung, aber das passt so. Die Herren plaudern ja, fast in Form einer Massen-Arie, nicht nur anfangs Lucias Verhältnis mit Edgardo aus. Sie erzählen im dritten Akt auf ähnlich eloquente Weise von Lucias finalem Schicksal.

Hörfunkübertragung am 24. September um 19.30 Uhr in Ö1
Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

 

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