Emotional berührend und verstörend
RUPERTINUM / I-PHOTO. JAPANISCHE FOTOGRAFIE
25/06/18 Eine junge Frau, umhüllt von einem kurzen weißen Kleid, liegt seitlich am Boden und blickt den Betrachter etwas traurig und erschöpft an. Die Aufnahme von Nobuyoshi Araki zeigt seine Frau Yoko und ist nur ein Beispiel für die Emotionalität und Intimität der Arbeiten in der Ausstellung „I-Photo“ im Rupertinum.
Paula L. Trautmann
Otto Breicha, erster Direktor des Museum der Moderne, reiste einst nach Japan, um Künstler für eine Ausstellung damals in Graz zu gewinnen... Aufgrund seines Interesses für japanische Fotografie besitzt das Museum der Moderne heute eine umfangreiche Sammlung mit sechshundert Werken von 21 Fotografen, „ein exzellentes und umfangreiches Konvolut japanischer Fotografie der 1960er- und 1970er-Jahre“. Dieses wird nach vielen Jahren erstmals wieder – geplant sind zwei Ausstellungen - präsentiert. Der Auftakt ist der Darstellung des Menschen und der Wahrnehmung der sich verändernden Gesellschaft in der Nachkriegszeit in Japan gewidmet. Eine zweite Ausstellung zum Thema „Stadt und Land“ ist geplant.
Nun also werden in der Ausstellung „I-Photo“ Vintage-Prints von zwölf Fotografen gezeigt: Der Titel ist an das literarische Genre der Ich-Erzählung angelehnt und verrät bereits, dass es sich um teils sehr persönliche Darstellungen handelt.
Die glänzenden Lippen sind sinnlich geöffnet, ein Teil der weißen Zähne ist zu sehen: „Lips from a Poster“ heißt die Fotografie von Daido Moriyama – quasi das Vorzeige-Marketing-Stück der Ausstellung.
Die Aufbereitung der Vintage-Abzüge, die „aus den Tiefen des Depots“ geborgen werden mussten, sei aufgrund der mangelnden Dokumentation aufwändig gewesen, berichtet die MdM-Direktorin Sabine Breitwieser. Umso erfreulicher, dass die schwarz-weiß Fotografien nun einen Raum gefunden haben, um zu wirken. Die Aufnahmen aus dem Jahrzehnt zwischen 1960 und 1970 laufen gängigen Japan-Vorstellungen oft entgegen und sind gerade deshalb so beeindruckend.
Lederschuhe, Lederhosen und Lederjacken, getragen von vier Männern, deren Köpfe nicht zu sehen sind: Bishin Jumonji schafft mit Fotografien dieser Art genau den außergewöhnlichen Funken, der die Ausstellung so besonders macht. Seine Bildreihe stellt nur Personen da, deren Gesichter aus dem Bildausschnitt verdrängt sind, wodurch eine gewisse Gleichförmigkeit, ein Identitätsverlust entsteht. Das mach Jumonjis Fotografien zugleich besonders interessant.
Zu sehen sind Arbeiten von Nobuyoshi Araki, Masahisa Fukase, Takashi Hanabusa, Bishin Jumonji, Daidō Moriyama, Masaaki Nakagawa, Shunji Ōkura, Issei Suda, Akihide Tamura, Yoshihiro Tatsuki und Shin Yanagisawa.
Nobuyoshi Araki spielt mit der „Abgrenzung von Öffentlichkeit und Privatheit“: Laszive Nacktbilder einer jungen Frau, die sich beispielweise selbstbefriedigt, werden Aufnahmen von Menschen im öffentlichen Raum gegenübergestellt. Es handelt sich um einen außergewöhnlichen Zugang Arakis zur Realität, der dem Besucher intime Einblicke gewährt.
„Der Kontext der Zeit ist ganz wichtig“, erklärt Sabine Breitwieser: Japan erlebte mit Beginn der 1960er Jahre ein starkes Wirtschaftswachstum, Tokyo wuchs zu einer gigantischen Stadt heran, die Abschottung zum Westen wurde brüchig. Das erweiterte Selbstverständnis des Landes beeinflusste die japanische Fotoszene. Auf diese zeitgeschichtliche Situation wirft die Ausstellung im MdM-Rupertinum einen spannenden Blick. Gesellschafts- und Menschenbild werden auf ausdrucksvolle Art inszeniert.
So auch Shunji Okura, der seine Bildstrecke Kindern gewidmet hat. Ein kleines Mädchen sitzt an eine Mauer gelehnt, sie trägt eine Blumenhaarspange und blickt aus dem Bildrand. Der Fotograf nimmt die niedrige Perspektive der Kinder auf dem Spielplatz ein, so bleibt dem Betrachter einiges verborgen. Die Aufnahmen strahlen eine pure und einfache Schönheit aus, was auch an dem einfühlenden Standpunkt des Künstlers liegt.
„I-Photo“ - bis 8. Juli im MdM Rupertinum – www.museumdermoderne.at
Bilder: MdM/Nobuyoshi Araki; Takashi Hanabusa; Shunji Ōkura; Estate of Shin Yanagisawa