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248 mal Trotzdem

KUNSTVEREIN / LINE AS THOUGHT, LINES AS UNIVERSE

23/02/21 Schmerz. Angst. Wut. Keine Verzweiflung. Ein mutiges Trotzdem spricht aus den 248 winzigen Zeichnungen der rumänischen Künstlerin Alina Popa. Sie starb 2019 mit 37 Jahren an Krebs. Ihre letzten Skizzenbücher gaben den Anstoß, zwölf Künstlerinnen und Künstler zeugen mit Alina Popa von den Spielformen der „Zeichnung“.

Von Heidemarie Klabacher

T-Cells kill bad cells. Shaking after Tumor Eruption and Release. Health in me... Unter jede der 248 Skizzen hat die todkranke Künstlerin eine Zeile geschrieben: Gefühle ausdrückend, die Krankheit beschreibend, die eigene Situation wie eine Außenstehende betrachtend. Nüchtern, gerade deswegen bewegend. Auf vier riesigen Tischen im Großen Kunstvereinssaal sind die Blätter faksimiliert ausgebreitet. Die acht winzigen Skizzenbücher sind in einer Glasvitrine im Eck sicher verwahrt. Zeichnungen von insgesamt zwölf weiteren Künstlerinnen und Künstlern präsentiert die Ausstellung Line as Thought, Lines als Universe. Auffällt die Abwesenheit ganz junger Leute. Es gehe um „das Potential der Zeichnung als Kunstform an der Grenze von Sprechen und Denken“, sagt Kunstvereinsleiter Séamus Kealy. Tatsächlich sind nicht nur bei Alina Popa gezeichnete und geschriebene „Lines“ untrennbar miteinander verbunden.

Die Gebirgslandschaften von Carlfriedrich Claus bestehen – man erfasst es auf den zweiten Blick – aus „Geschriebenem“. Aus Zeichen, Zeilen, Sätzen, die sich der Lesbarkeit freilich entziehen: Der 1998 verstorbene DDR-Avandtgardist gilt als einer der Mitgründer der visuellen Poesie. Die Titel stehen in schrillem Kontrast zur scheinbaren Zugänglichkeit des Abgebildeten, lauten etwa Allegorischer Essay für Albert Wigand: Naturalisierung des Menschen, Humanisierung der Natur, ein kommunistisches Zukunftsproblem. Zu sehen sind Faksimiles, die Originale schuf der Künstler auf beiderseitig beschriebenem Transparentpapier. Deren fragile Tiefe scheint sich bis in die ausgestellten Offset- oder Siebdruck-Platten durchzuschlagen. Sehr gerne würde man hier ein Original sehen.

Das Herumschicken von Kunst ist dieser Tage aber nicht so leicht. Das führt sogar dazu, dass aktuelle Arbeiten im Original und in Kopie quasi gleichzeitig entstehen: Auffällt eine Wand mit Fax-Kopien. Wunder, dass es so etwas noch gibt. Jedenfalls bezeugen Absenderzeile und typische Übermittlungs-Schatten auf dem Naturpapier die archaische Versandmethode: Diese Blätter, die meisten leer, einige erinnern an Marmorpapier, kommen aus dem Faxgerät.

Tatsächlich arbeitet die in Polen geborene Künstlerin Monika Gryzmala in ihrem Atelier in Berlin mit „schwimmender Tinte“. Was fertig ist, faxt sie an den Kunstverein. Sprechender Titel: The New Making of Forming Something New, 2021, progressiv-generative Zeichnung via Faxübertragung.

Die schillernd bunten, streng geometrisch-abstrakten Arbeiten der 1977 geborenen tschechischen Künstlerin Habina Fuchs (der jüngsten in der Runde), die Skulptur gewordenen Zeichnungen von Attila Csörgő oder Nina Canell, die feinen Farb- bzw. Bleistiftstiftzeichnungen von Isabel Nolan: Es ist ein faszinierender Kosmos dessen, was „Zeichnung“ sein kann, den der Kunstvereinsleiter Séamus Kealy und der Künstler Nikolaus Gansterer in ihrer gemeinsam gestalteten Ausstellung eröffnen. Gansterer selber war in der Umgebung Salzburgs zeichnend unterwegs und hat den unvermeidlichen Regen mitarbeiten lassen. Seine poetischen Arbeiten hat er einem Philosophen zur Interpretation geschickt, die Texte gehören nun zu den Zeichnungen.

Tatsächlich wäre es spannend, von jeder der dreizehn „Positionen“ noch mehr zu sehen, immerhin sind Klassiker wie die achtzigjährige Morgan O'Hara (mit ihren Handbewegungsprotokollen) oder der 2019 verstorbene Karel Malich darunter. Den Raum dominiert die größte und zugleich fragilste Arbeit. Christoph Finks Europaria / Atlas ist stattliche 3 mal 4,5 Meter groß. Die Zeichnung darauf ist noch lange nicht fertig, werden soll es eine Landkarte der Ideengeschichte Europas. Ein Blatt zum Versinken, nicht leicht zu betrachten, die Spiegelungen lassen die feinen Bleistiftnotizen kaum erkennen.

Ein betörend klares Bild ergeben dageben die Flugbahnen eines Transportflugzeuges von Brüssel aus
in die ganz Welt. Zugleich eine Quintessenz dieser Schau – die ganze Welt in einer Zeichnung.

Line as Thought, Lines als Universe - bis 25. April im Kunstverein - www.salzburger-kunstverein.at
Bilder: dpk-klaba

 

 

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