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Marienglas-Tektonik

BIENNALE / SCHOLA HEIDELBERG  / CHRISTUSKIRCHE

22/03/11 „Bewahr uns. Verzeih uns. Confiteor. Maria. Denn dein ist das Reich. Ave. Pater noster. Trinitas. Lieber Gott, mach mich fromm…“ Versatzstücke katholischen Betens hat Dieter Schnebel vor vierundvierzig Jahren in seinem Chorstück „amn“ verarbeitet.

Von Heidemarie Klabacher

altFlüstern, summen, rezitieren. Zitate aus dem Gregorianischen Choral oder der maurisch-arabischen Klangklangwelt. Mit Kinderstimme im Falsett heruntergeleierte Gebetszeilen: Das Stück „amn“ für sieben Gruppen von Vokalisten wirkte bei seiner Uraufführung am 31. März 1967 in Kassel revolutionär.

Bei seiner Österreichischen Erstaufführung am 19. März 2011 in Salzburg wirkte „amn“ wie ein Zerr-Bild gegenwärtiger Religiosität oder Spiritualität, in der nur mehr Fragmente aus Bibel oder Liturgie herumgeistern, die sich aber doch nicht endgültig aus den Köpfen vertreiben lassen. Die Tonsprache ist uns heute längst vertraut, aber die Aussage des Werks ist hochaktuell - noch immer oder schon wieder.

Ähnlich gebaut, aber kompakter in der Textkompilation: „Behütet“ Psalm 121 für Chor ebenfalls von Dieter Schnebel, ein Auftragswerk der Biennale Salzburg, das von der Schola Heidelberg unter Walter Nußbaum in der Christuskirche uraufgeführt wurde.

Den Kern des mit „Wallfahrerlied“ überschriebenen Chorstücks bildet der hebräische Psalmtext, vorgetragen von einer Männerstimme, während eine Frauenstimme die deutsche Übersetzung spricht: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen…“ Dazu kommen Laute und Ausdrücke von Angst oder Verzweiflung. Und - vielleicht aus der Anstrengung des Aufstiegs oder gar aus der Bergnot heraus ausgesprochene - Gebetsfetzen etwa aus dem Lateinischen Credo. Eigenwillige - aber effektvolle - Einsprengsel aus dem Hohelied des Katholizismus in biblische Poesie.

Ebenso brillant umgesetzt wie die vielschichtigen Stücke Schnebels hat die Choralschola Heidelberg das gesamte Programm mit Chorwerken von Schubert und Mahler über Schönberg, Berg und Webern, bis herauf zu Lachenmann und Furrer. (Gefehlt in dieser überzeugenden Programmzusammenstellung eigentlich nur György Ligietis „Lux Aeterna“, das aber den Rahmen gesprengt hätte.)

Ebenfalls zur Uraufführung kam das Chorstück „das weiß im gesicht“ von Klaus Lang (Jahrgang 1971). Ein klangsinnliches Werk, um das sich gute Chöre reißen sollten. Enge Klang-Cluster blühen auf zu transparenten Klangflächen, die sich schier unmerklich gegeneinander verschieben. Marienglas-Tektonik.

Erstaunlich, wie modern Franz Schuberts „Wehmut“ für vier Männerstimmen im zeitgenössischen Kontext klingt, während Alban Bergs Variante von „Es ist ein Reis entsprungen“ romantischer wirkt, als viele neuere Sätze. Ein Höhepunkt: „Die zwei blauen Augen“ aus Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“ in der Bearbeitung für vier vierstimmige Chöre von Clytus Gottwald.

Die Schola Heidelberg  bestach auf jedem einzelnen Abschnitt dieser Reise durch die Chormusik von der Romantik bis in die Gegenwart mit allerhöchster Vokalkultur.

Bild: www.klanghd.de

 

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